11.08.2016

Proteasom im Portrait

Neues Verfahren liefert hochaufgelöste dreidimensionale Modelle komplexer Zellstrukturen.

Bösartige Krebszellen wachsen nicht nur schneller als die meisten Körperzellen. Sie sind auch besonders abhängig vom zellulären Müllverwerter, dem Proteasom, das ausgediente Proteine zerlegt. Bei der Behandlung mancher Krebsarten macht man sich das zunutze: Patienten werden unter anderem mit Inhibitoren behandelt, die das Proteasom blockieren. Der folgende Entsorgungsstau lässt die Krebszelle schließlich absterben. Forscher haben das humane Proteasom nun in zuvor unerreichtem Detail in 3D sichtbar gemacht und den Mechanismus entschlüsselt, mit dem Inhibitoren das Proteasom hemmen. Ihre Erkenntnisse sind wegweisend, um wirksamere Proteasom-Inhibitoren für die Krebs­therapie zu entwickeln.

Abb.: Parallele Röntgenstrahlen klären die Struktur des Proteasoms präzise auf (oben rechts). Bei der chemischen Reaktion von Inhibitor und Proteasom entsteht ein 7-Ring (unten), was für neue Therapeutika interessant ist. (oben links; Bild: H. Sebesse / MPIBPC)

Wie genau zelluläre Maschinen wie das Proteasom funktionieren, lässt sich nur verstehen, wenn man ihren räumlichen Aufbau im Detail kennt. Mit seinen mehr als 50.000 Atomen ist der tonnenförmige Müll­verwerter für Struktur­biologen allerdings eine echte Herausforderung. Wissenschaftlern um Ashwin Chari vom Göttinger Max-Planck-Institut (MPI) für biophysikalische Chemie und Gleb Bourenkov vom European Molecular Biology Laboratory (EMBL) ist es nun mittels Röntgen­kristallo­graphie gelungen, die dreidimensionale Struktur des menschlichen Proteasoms mit einer Trennschärfe von bis zu 1,8 Ångström aufzuklären – und damit die einzelnen Atome des Müll­verwerters sichtbar zu machen.

Im nächsten Schritt bestimmten die Forscher außerdem die Struktur des Proteasoms gebunden von vier verschiedenen Inhibitoren, die bereits klinisch im Einsatz sind oder derzeit in Studien getestet werden. „Dank der stark verbesserten Auflösung im Vergleich zu früheren Proteasom-Strukturen konnten wir erstmals den genauen chemischen Mechanismus ermitteln, mit dem die Inhibitoren das Proteasom blockieren. Dieses Wissen ermöglicht es, das Design der Inhibitoren und damit deren Wirksamkeit zu optimieren. Denn nur maß­geschneiderte Inhibitoren hemmen die Aktivität des Proteasoms perfekt und können es komplett stilllegen“, erklärt Chari, Projekt­gruppen­leiter in der Abteilung Strukturelle Dynamik von Holger Stark am MPI für bio­physikalische Chemie.

Ein wichtiges Detail entdeckten die Wissenschaftler im sogenannten aktiven Zentrum des Proteasoms, an dem der zelluläre Müll abgebaut wird und an dem sich auch die Inhibitoren anlagern: Anders als bisher gedacht, entsteht bei der chemischen Reaktion von Inhibitor und Proteasom eine 7-Ring-Struktur, die eine zusätzliche sogenannte Methylen­gruppe enthält – mit weitreichenden Folgen für die Wirksamkeit und den chemischen Mechanismus des Inhibitors, so die Forscher. „Auch wenn es sich bei der Methylengruppe um nur ein Kohlenstoff­atom samt zweier benachbarter Protonen unter mehr als 50.000 Atomen im Proteasom handelt, beeinflusst diese ganz wesentlich, wie der Inhibitor chemisch beschaffen sein muss, um das Proteasom optimal zu blockieren“, sagt Thomas Schneider, Gruppen­leiter am EMBL. „Das muss man bei der Entwicklung neuer Inhibitoren berücksichtigen und die Suche nach Wirkstoff-Kandidaten entsprechend anpassen“, ergänzt Holger Stark. Das chemische Verfahren, mit dem sich Inhibitoren entsprechend designen lassen, haben die Forscher bereits zum Patent angemeldet. „Da einer möglichen medizinischen Anwendung immer das Erkennen vorausgeht, sind es solche Details, bei denen jedes Atom zählt, die den Unterschied ausmachen“, wie Bourenkov erklärt.

Der Erfolg des Projekts ist das Ergebnis inter­disziplinärer Teamarbeit. So arbeiteten für das Projekt Struktur­biologen, Physiker, Kinetiker und Biochemiker des MPI für bio­physikalische Chemie, des EMBL in Hamburg und der Universität Göttingen zusammen und entwickelten verschiedene innovative Verfahren.

Mithilfe neuer Methoden gelang es Fabian Henneberg und Jil Schrader, Nachwuchs­wissenschaftler in Starks Abteilung und Erstautoren der jetzt erschienen Arbeit, die Proteasomen äußerst rein herzustellen und daraus hoch­qualitative Kristalle des Komplexes mit und ohne gebundenem Inhibitor zu züchten.

Die besondere Reinheit der Proben und die Qualität der Kristalle waren eine entscheidende Voraussetzung, die räumliche Struktur des Müll­verwerters derartig detailliert aufklären zu können. Auch das Verfahren zur Aufreinigung und Kristallisation meldeten die Wissenschaftler bereits zum Patent an. „Die Methode, mit der wir das Proteasom aufreinigen und mit und ohne Inhibitor kristallisieren, ist außerdem einsetzbar, um neue Wirkstoffe auf ihre Eignung als Proteasom-Inhibitoren zu testen – im industriellen Maßstab möglicherweise Hunderte pro Woche“, wirft Chari einen Blick in die Zukunft.

Eine zweite entscheidende Voraussetzung für den Erfolg des Projekts war die Brillianz des Röntgenlichts. Dieses lieferte die EMBL-Forschungs­anlage am DESY: „Die DESY-Strahlenquelle generiert Röntgenstrahlen von herausragender Qualität. Mithilfe der Hoch­leistungs-Röntgen­optiken konnten wir die Röntgenstrahlen für das kristallisierte Proteasom maß­schneidern und diese hohe Detail­schärfe erreichen“, sagt Bourenkov.

MPIBPC / DE

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