16.02.2017

Protein auf dem Seziertisch

Intensive Röntgenblitze ermöglichen Strukturbestimmung von Virus-Protein in beinahe atomarer Auflösung.

Mit Hilfe intensiver Röntgenblitze hat ein internationales Forscher­team die kristalline Protein­hülle eines Insekten­virus entschlüsselt. Die Analyse zeigt die Bausteine des Virus-Kokons mit einer Detail­genauigkeit von 0,2 Nanometern – das entspricht nahezu atomarer Auflösung. Die winzigen Virus­kapseln sind die mit Abstand kleinsten Protein­kristalle, die Forscher je mit Hilfe der Röntgen­kristallo­graphie entschlüsselt haben. Das eröffnet neue Möglichkeiten für die Untersuchung von Protein­strukturen, wie das Team um DESY-Forscher Henry Chapman vom Center for Free-Electron Laser Science berichtet.

Abb.: Struktur der Bausteine des Viruskokons (links und Mitte) sowie des Einzelproteins Granulin (rechts), berechnet aus der Röntgen­strukturanalyse (Bild: D. Oberthür, CFEL / DESY)

„Das Granulovirus befällt bestimmte Insekten und tötet sie. Da es dann mit seinem toten Wirt zunächst an Ort und Stelle liegenbleibt, muss es sich – manchmal jahrelang – vor Umwelt­einflüssen wie Hitze, UV-Licht und Trockenheit schützen, bis es irgendwann wieder von einem Insekt aufgenommen wird. Deshalb hüllt sich das Virus in einen Kokon aus Protein­kristallen, der sich erst im Insekten­darm wieder auflöst“, erläutert Cornelius Gati von DESY. Diese Viren sind das Spezial­gebiet von Peter Metcalf von der Universität Auckland in Neuseeland und Johannes Jehle vom Julius-Kühn-Institut in Darmstadt, deren Gruppen an der Studie beteiligt sind. Die Forscher untersuchten den Kokon eines Granulovirus (CpGV), das in der Landwirtschaft als biologisches Schädlings­bekämpfungs­mittel gegen die Raupen des Apfel­wicklers Cydia pomonella eingesetzt wird. Für Menschen sind diese Viren ungefährlich.

„In den vergangenen 50 Jahren haben Wissenschaftler mehr als 100.000 Protein­strukturen entschlüsselt“, betont Chapman, der auch Physikprofessor an der Universität Hamburg ist. „Das mit Abstand wichtigste Werkzeug dabei ist die Röntgen­kristallo­graphie.“ Bei dieser Methode wird ein Kristall aus dem zu untersuchenden Protein gezüchtet und mit hellem Röntgen­licht beleuchtet. Es entsteht ein charakteristisches Muster der gebeugten Röntgen­strahlen, aus dem sich die räumliche Struktur des untersuchten Kristalls und seiner Bausteine berechnen lässt.

„Eine große Herausforderung bei diesem Verfahren ist allerdings die Kristall­zucht“, sagt Chapman. Viele Proteine lassen sich nur widerwillig in Kristallform zwingen, weil es nicht ihrem natürlichen Zustand entspricht. Je kleiner die Kristalle für die Untersuchung sein dürfen, desto eher gelingt zwar häufig die Zucht, desto schwieriger ist jedoch auch die Untersuchung. „Wir hoffen, in Zukunft sogar ganz auf die Kristall­zucht verzichten und einzelne Moleküle direkt per Röntgenlicht untersuchen zu können. Daher möchten wir verstehen, wo die Grenzen liegen“, sagt Chapman.

„Die eiförmigen Okklusionskörper des Granulo­virus sind die kleinsten Protein­kristalle, die je für die Röntgen-Strukturanalyse benutzt worden sind“, erläutert Gati. Diese Virus-Kokons haben ein Volumen von etwa 0,01 Kubik­mikrometer, das ist rund hundert Mal weniger als die kleinsten künstlich gezüchteten Protein­kristalle, die sich bislang mit der Kristallo­graphie analysieren ließen.

Je kleiner ein Kristall ist, desto heller muss das Röntgenlicht sein, mit dem er beleuchtet wird, um ein ausreichend detailliertes Streubild aufnehmen zu können. Die intensivsten Röntgen­blitze erzeugen Freie-Elektronen-Laser. Die Wissenschaftler nutzten für ihre Untersuchungen den Freie-Elektronen-Laser LCLS am Forschungszentrum SLAC in Kalifornien und fokussierten seine Röntgen­pulse mit einer Spezial­optik auf eine Größe, die dem Durchmesser eines Virus­partikels entspricht. „Wenn man die geballte Kraft des Röntgen­lasers komplett auf ein winziges Virus fokussiert, bekommt es eine enorme Strahlungs­dosis“, berichtet Gati, der heute am SLAC arbeitet. Die Dosis lag bei 1,3 Milliarden Gray. Zum Vergleich: Die tödliche Dosis für Menschen liegt bei etwa 50 Gray.

Die Röntgenstrahlungsdosis war auch für die Virus­kristalle vernichtend – sie verdampften in den Blitzen. Allerdings sind die Blitze so kurz, dass sie die Struktur­information des unbeschädigten Kristalls zum Detektor befördern, bevor das Viruspartikel explodiert. Die Analyse der aufgezeichneten Streubilder zeigt, dass selbst die winzigen Protein­kristalle trotz der extrem hohen Strahlungsdosis auf diese Weise ihre Struktur in atomarer Auflösung preisgeben.

„Simulationen auf Grundlage unserer Messungen ergeben, dass wir mit unserer Methode voraus­sichtlich selbst die Struktur von noch kleineren Kristallen aus lediglich einigen hundert oder tausend Molekülen entschlüsseln könnten“, berichtet Chapman, der auch Mitglied im Hamburger Center for Ultrafast Imaging (CUI) ist. „Damit schaffen wir einen großen Schritt in Richtung unseres Ziels, der Analyse von Einzelmolekülen.“

DESY / DE

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