22.03.2017

Protein-Düse mit Spar-Effekt

Düse mit doppelter Fokussierung liefert besonders feinen und stabilen Strahl für Röntgenkristallographie.

Eine neuartige Injektionsdüse reduziert den Verbrauch wertvoller Protein­kristalle in der Kristallo­graphie und erweitert das Spektrum dieser weit verbreiteten Analyse­methode. Durch das innovative Konzept kommt die serielle Röntgen­kristallographie, mit der sich die räumliche Struktur von Proteinen atomgenau bestimmen lässt, mit bis zu acht Mal weniger Kristallen aus, wie die Entwickler um DESY-Wissenschaftlerin Saša Bajt vom Center for Free-Electron Laser Science (CFEL) nun berichten. Die Forscher haben mit Hilfe ihrer Düse unter anderem bislang unbekannte Details in der Struktur des Enzyms RNA-Polymerase II bestimmt.

Abb.: Das Röntgenbild der neuartigen Düse während des Betriebs zeigt den inneren Proteinstrom, der von Ethanol umschlossen ist. (Bild: D. Oberthür, DESY)

Biologen interessieren sich für die räumliche Struktur von Proteinen, weil sie viel über die genaue Funktions­weise dieser Biomoleküle verrät. Diese Informationen ermöglichen nicht nur ein tieferes Verständnis biologischer Prozesse, sie können beispielsweise auch zur Entwicklung maß­geschneiderter Medikamente beitragen. Die Röntgenkristallographie ist das mit Abstand wichtigste Werkzeug für derartige Untersuchungen. Dafür wird aus den zu untersuchenden Proteinen ein kleiner Kristall gezüchtet und mit Röntgen­strahlung beleuchtet. Das Röntgenlicht streut am Kristall­gitter und erzeugt ein charakteristisches Streubild, aus dem sich die räumliche Struktur des Kristalls und damit des Proteins selbst berechnen lässt.

Allerdings lassen sich viele Proteine nicht gern in Kristallform zwängen, weil dies ihrem natürlichen Zustand widerspricht. „Protein­kristalle zu züchten ist kompliziert, oft lassen sich nur wenige millionstel Gramm und extrem winzige Kristalle produzieren“, erläutert Dominik Oberthür von DESY. Mit den extrem hellen Blitzen von Freie-Elektronen-Röntgenlasern (XFEL) lassen sich selbst solche winzigen Kristalle noch analysieren, aber in der Regel sind tausende Streubilder nötig, um die Protein­struktur zu bestimmen. Da die empfindlichen Mikro­kristalle jedoch im intensiven Röntgen­blitz verdampfen, nachdem sie ihr Streubild erzeugt haben, sprüht man einen beständigen Strahl frischer Mikro­kristalle durch den gepulsten Laser. Dieses Konzept nennt sich serielle Röntgen­kristallo­graphie und hat die Analyse zahlreicher zuvor nicht untersuchbarer Proteine ermöglicht.

Aber auch solche Mikrokristalle sind oft schwierig zu züchten. Zudem wird in der Regel nur ein kleiner Teil der Kristalle im Strahl tatsächlich von einem Röntgen­blitz getroffen – je nach Geometrie des Kristallstrahls und den technischen Parametern des Röntgenlasers. „Je weniger Kristalle, je weniger Protein­material man braucht, desto eher lässt sich die Analyse durchführen“, betont Oberthür. Bajts Team hat daher das neue Konzept einer sogenannten Double-Flow Focusing Nozzle (DFFN) entwickelt, also einer doppelt Flüssigkeits-fokussierenden Düse, die den Verbrauch der Protein­kristalle deutlich reduziert. Üblicherweise werden die zu untersuchenden Protein­kristalle in einer Träger­flüssigkeit, dem Puffer, durch eine Spezialdüse in den Röntgen­laser injiziert. Um einen dünnen Strahl zu formen, liegt die Düse in der Mitte eines schnellen Gasstroms, der die Trägerflüssigkeit beschleunigt. Für einen stabilen Strahl darf eine Mindest­flussrate nicht unterschritten werden, dadurch tropft der größte Teil der Protein­kristalle in der Regel ungenutzt in einen Auffang­behälter und ist verschwendet.

In der neuen Doppeldüse wird der Strahl nun aus Ethanol geformt. Erst in die Mitte dieses Ethanol-Jets wird ein extrem feiner Strahl mit Protein­kristallen injiziert. „Bislang musste der Puffer mit den Kristallen zwei Aufgaben erfüllen: Einen stabilen Strahl formen und die Proteinkristalle transportieren”, erläutert Juraj Knoška, CFEL-Doktorand der Universität Hamburg, der die Düse entwickelt hat. „Unser Ansatz trennt diese Aufgaben und nutzt jeweils die am besten geeigneten Flüssigkeiten dafür.“ Ethanol besitzt ideale Eigenschaften, um einen sehr stabilen Strahl zu bilden, in dessen Zentrum dann ein sehr feiner Strom mit Kristallen fließt. Auf diese Weise ließ sich die Flussrate des Puffers von 40 Mikrolitern auf nur noch zwei Mikroliter pro Minute reduzieren. Darüber hinaus lässt sich der feine Strom mit Nanokristallen präzise mit dem dünnen Strahl des Röntgen­lasers überlagern. Auf diese Weise verbessert sich nicht nur der Anteil der vom Röntgen­licht getroffenen Kristalle, sondern auch die Qualität der Streubilder.

„Wir reduzieren nicht nur den Kristall­verbrauch, unsere doppelt fokussierende Düse nutzt die Röntgen­quelle auch effizienter, indem wir die Rate erhöhen, mit der wir hochwertige Streubilder aufzeichnen“, sagt Bajt. „Außerdem ermöglicht das Ethanol als Jet-Flüssigkeit die Untersuchung von Proteinen, die Puffer benötigen, die sich bislang nicht injizieren lassen. Unser Konzept erweitert damit das Spektrum von Bio­molekülen, die sich analysieren lassen.“ Bajts Team hat die neue Düse am Röntgenlaser LCLS des Teilchen­beschleuniger­zentrums SLAC in Kalifornien getestet und sich dafür mit mehreren anderen Forscher­gruppen zusammengetan, um die Struktur verschiedener Proteine zu entschlüsseln.

„Zusammen mit der Gruppe von Nobelpreis­träger Roger Kornberg von der Stanford-Universität konnten wir die Struktur des Enzyms RNA-Polymerase II erstmals bei Raumtemperatur entschlüsseln“, erläutert Oberthür. „Da die Strukturanalyse bei Raumtemperatur eine Voraussetzung für die Detail­untersuchung der Struktur­dynamik ist, eröffnet das die Möglichkeit zeitaufgelöster Untersuchungen, sogenannter molekularer Filme, von diesem wichtigen System.“ Die Untersuchung zeigte einige bislang unbekannte Details in der Struktur dieses Enzyms. Mit Hilfe der Düse wurden noch zwei weitere Enzyme – eine membran­gebundene Hydrogenase sowie eine Dioxygenase – sowie natürlich vorkommende Protein-Nanokristalle aus dem Kokon eines spezialisierten Virus untersucht.

Die Düse löste dabei auch ein weiteres praktisches Problem dieser Form der Protein-Injektion: An der Kante gewöhnlicher Düsen und im Auffang­behälter unter dem Strahl sammeln sich in der Regel Protein­kristalle und Puffer­material sowie Eis­kristalle und wachsen zu tropf­stein­artigen Gebilden heran. Wenn diese Protein-Eis-Stalagtiten und -Stalagmiten in den Röntgen­strahl geraten, machen sie nicht nur die Streubilder unbrauchbar, ihre Reflexionen können so hell sein, dass sie den Detektor beschädigen. Daher müssen derartige Experimente regelmäßig unterbrochen werden, um die Protein-Eis-Tropfsteine zu entfernen. „In unserer Düse verhindert das Ethanol die Entstehung solcher unerwünschten Gebilde und ermöglicht stundenlang stabile Experimentier­bedingungen“, erläutert Oberthür.

„Die Düse hat in allen Experimenten extrem gut gearbeitet“, fasst Bajt zusammen. „Wir konnten die Zahl der nötigen Unterbrechungen in einer Schicht von zehn auf null reduzieren und erwarten, dass auch Experimentier­stationen an anderen Röntgenlasern sowie an Synchrotron-Röntgenlichtquellen wie PETRA III bei DESY von den Vorteilen unseres Geräts profitieren können.“

DESY / DE

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