Quadratisch, nano, Eiskristall
Unter hohem Druck können sich Wassermoleküle zu quadratischen Eiskristallen anordnen.
Fest, flüssig, gasförmig: Die Aggregatzustände des Wassers lernt jedes Kind in der Schule kennen. Und auch in der Wissenschaft zählt Wasser sicherlich zu den am besten untersuchten Substanzen. Trotzdem konnten Forscher von den Universitäten Ulm, Manchester und der University of Science and Technology of China dem Element ein Geheimnis abringen: Zwischen zwei Graphenschichten wiesen sie bei Raumtemperatur quadratische Nano-Eiskristalle nach.
Abb.: Aberrationskorrigierte Hochauflösungsabbildung von quadratischem Eis, eingeschlossen zwischen zwei Graphen-Monolagen (Bild: U. Ulm)
Zunächst wussten die Ulmer Wissenschaftler die unbekannte Struktur, die sie durch das Transmissionselektronenmikroskop sahen, nicht richtig einzuordnen. „Erst eine Diskussion mit den Partnern von der Manchester University und eine detaillierte Struktur- und Elementanalyse brachte uns auf die richtige Spur: Wir sahen ganz offensichtlich winzige quadratische Eiskristalle, die sonst vor allem in sechseckiger Form vorkommen – zum Beispiel in Schneeflocken“, berichtet Ute Kaiser, Leiterin der Materialwissenschaftlichen Elektronenmikroskopie an der Uni Ulm. Im Zuge des Projekts SALVE, in dem die Niederspannungs-Transmissionselektronenmikroskopie für strahlenempfindliche Materialien wie Graphen oder Biomoleküle weiterentwickelt werden soll, hatten die Ulmer Forscher Gerardo Algara-Siller und Ossi Lehtinen einen Wassertropfen zwischen zwei Graphenschichten gebracht. Mit dem Transmissionselektronenmikroskop wollten sie die Untersuchung eines biologischen Moleküls vorbereiten – doch dann offenbarte sich die Struktur des eingeschlossenen Wassers.
Tatsächlich sind solche dünnen Wasserfilme allgegenwärtig: Selbst in der trockensten Wüste überzieht eine mikroskopische Schicht alle Oberflächen und lässt sich in den kleinsten Poren oder Rissen – zum Beispiel in Gestein – nachweisen. Struktur und Eigenschaften dieser Wasserfilme waren weitestgehend unbekannt. Mit hochaufgelöster bildfehlerkorrigierter Elektronenmikroskopie ist den Forschern die Abbildung der Wassermoleküle und ihre chemische Analyse gelungen. Das als Träger eingesetzte, transparente „Graphen-Sandwich" war lediglich zwei Atomlagen dick und der Van-der-Waals-Druck sorgte für die Formung dieser eingeschränkten quadratischen Eis-Struktur bei Raumtemperatur zwischen den Graphenschichten. Anschließend wurden die Hochauflösungsabbildungen mit Bildsimulationen verifiziert – so ließ sich auch die Stapelordnung von drei Eismonoschichten, wie sie im Experiment gefunden wurden, bestimmen.
Die gefundene viereckige Anordnung von Wassermolekülen in der dünnen Eisschicht ist absolut ungewöhnlich für Wasser. In allen bisher bekannten Formen von Eis ordnen sich die Moleküle pyramidenförmig an“, sagt Ute Kaiser. Aber unter welchen Bedingungen kommen solche viereckigen Eiskristalle in der freien Natur vor? Dieser Frage gingen die Wissenschaftler mit Computersimulationen nach, die an der Chinese Academy of Science durchgeführt wurden. Offenbar bilden sich die quadratischen Kristalle im Graphen-Sandwich immer nur dann, wenn der Druck zwischen den Graphenschichten größer als ein Gigapascal und der Wasserfilm dünn genug ist – sie dürften also in allen Rissen und bei allen Materialien im Nanobereich vorkommen.
An der Herausforderung, die Struktur von eingeschlossenem Wasser zu verstehen, sind schon viele Forscher gescheitert. Doch nun war die Ulmer Gruppe erfolgreich: „Mikroskopische Risse, Poren oder winzige Kanäle sind überall – und das nicht nur auf unserem Planeten. Für die Materialkunde ist es besonders wichtig zu wissen, dass sich Wasser auf der Nanoskala völlig anders verhält“, resümiert Irina Grigorieva, Leiterin der Forschergruppe aus Manchester. Dieser Gruppe gehört auch Sir Andre Geim an, einer der Wissenschaftler, die 2010 den Nobelpreis für ihre Arbeit zu Graphen erhielten. Vor dem Hintergrund des ultraschnellen Wassertransports durch Graphen-Nanokanäle hatte Geim bereits über quadratische Eiskristalle spekuliert – und wurde nun bestätigt. Es gibt also noch viel zu entdecken in der Nanowelt.
U. Ulm / DE