Quanten-Effekte bei Elektronenwellen
Kapitza-Dirac-Effekt erstmals in voller Zeitauflösung beobachtet.
Es war eine der größten Überraschungen in der Geschichte der Naturwissenschaft: Zum Beginn der Quantenphysik vor etwa hundert Jahren stellte sich heraus, dass die Bestandteile unserer Materie nicht einfach nur Teilchen sind, sondern auch Wellencharakter aufweisen. Genauso wie Licht an einem Doppelspalt gestreut werden kann und dann Streumuster zeigt, können auch Elektronen Interferenzeffekte zeigen. Die beiden Theoretiker Piotr Kapitza und Paul Dirac konnten im Jahr 1933 beweisen, dass ein Elektronenstrahl als Folge der Teilcheneigenschaften sogar von einer stehenden Lichtwelle abgelenkt wird und dass dabei Interferenzeffekte als Folge der Welleneigenschaften zu erwarten sind.
Jetzt ist es einem Team aus Deutschland und China um Reinhard Dörner von der Uni Frankfurt gelungen, diesen Kapitza-Dirac-Effekt zu nutzen, um die zeitliche Entwicklung der Elektronenwellen sichtbar zu machen, also die quantenphysikalische Phase der Elektronen. Dazu musste auch die theoretische Beschreibung weiterentwickelt werden, denn Kapitza und Dirac hatten die zeitliche Entwicklung der Elektronenphasen damals noch nicht eigens berücksichtigt.
Bei ihrem Experiment schossen die Wissenschaftler zunächst zwei ultrakurze Laserpulse aus entgegengesetzten Richtungen auf ein Xenon-Gas. Diese Femtosekundenpulse erzeugten in ihrem Kreuzungspunkt für Sekundenbruchteile ein ultrastarkes Lichtfeld. Dieses entriss Xenon-Atomen Elektronen, es ionisierte sie. Die freigesetzten Elektronen beschossen die Physiker sehr kurz darauf mit einem zweiten Paar kurzer Laserpulse, die im Zentrum ebenfalls eine stehende Welle bildeten. Diese Pulse waren etwas schwächer und erzeugten keine weitere Ionisation. Dafür konnten sie mit den freien Elektronen in Wechselwirkung treten, was sich mit Hilfe eines an der Uni Frankfurt entwickelten COLTRIMS-Reaktionsmikroskops beobachten ließ.
„Im Wechselwirkungspunkt können drei Dinge passieren“, sagt Reinhard Dörner von der Uni Frankfurt. „Entweder das Elektron erfährt keine Wechselwirkung mit dem Licht – oder es wird nach links oder nach rechts gestreut.“ Diese drei Möglichkeiten summieren sich nach den Gesetzen der Quantenphysik zu einer bestimmten Wahrscheinlichkeit, die sich in der Wellenfunktion der Elektronen niederschlägt. Der wolkenartige Raum, in dem sich das Elektron mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit aufhält, zerfällt in dreidimensionale Scheiben. Dabei ist die zeitliche Entwicklung der Wellenfunktion und ihrer Phase davon abhängig, wie viel Zeit zwischen der Ionisation und dem Auftreffen des nachfolgenden Paares von Laserpulsen folgt.
„Damit eröffnet sich eine Vielzahl von spannenden Anwendungen in der Quantenphysik. Hoffentlich werden wir damit verfolgen können, wie Elektronen sich in kürzester Zeit von Quantenteilchen in ganz normale Teilchen verwandeln. Wir haben auch schon Pläne, um damit der Verschränkung zwischen verschiedenen Teilchen weiter auf die Spur zu kommen“, schließt der Wissenschaftler. Wie so oft in der Naturwissenschaft hat es sich also auch hier gelohnt, alterprobte Theorien immer wieder aufs Neue auf den Prüfstand zu stellen.
GU Frankfurt / RK