Quantenkryptographie: Bell-Ungleichung ausgetrickst
Durch Schlupflöcher lassen sich quantenmechanische Messungen klassisch fingieren.
Bei Messungen an quantenmechanisch verschränkten Systemen können die Ergebnisse eine so starke Abstimmung zeigen, wie man dies mit den Mitteln der klassischen Physik weder erklären noch reproduzieren kann. Das setzt allerdings voraus, dass man sich an die Spielregeln hält und keine „Schlupflöcher“ ausnutzt, die sich bei realen Experimenten eröffnen. Mit solch einem Trick haben jetzt Forscher in Singapur mit klassischen Lichtpulsen die Bell-Ungleichung verletzt.
Abb.: Eves Wunderkiste, mit der sie Alice und Bob täuscht und die Bell-Ungleichung austrickst (Bild: I. Gerhardt et al. / Nat. Commun.)
Die Bell-Ungleichung besagt, dass im Rahmen einer lokalen und objektiven Theorie – wie in der klassischen Physik – die Korrelationen von Messergebnissen eine bestimmte Schranke nicht überschreiten. Im Rahmen der Quantenphysik können Messergebnisse aber durchaus stärker miteinander korreliert sein, sodass die Bell-Ungleichung verletzt ist. Das können Alice und Bob für die Quantenverschlüsselung nutzen. Werden sie von Eve belauscht, so zerstört das die Quantenkorrelationen, und die Bell-Ungleichung ist daraufhin erfüllt.
Allerdings gibt es (mindestens) zwei Schlupflöcher, die es Eve ermöglichen, mit einem klassischen System ein quantenmechanisch korreliertes Verhalten zu fingieren, sodass sich Alice und Bob trotz erfolgtem Lauschangriff unbelauscht wähnen. Erstens kann sie die Informationen, die Alice und Bob bei ihren lokalen Messungen erhalten, vorher miteinander abstimmen und so die „Lokalität“ verletzen. Zweitens kann Eve dafür sorgen, dass Alice und Bob mit ihren Messgeräten nur dann etwas registrieren, wenn die Messergebnisse stark genug korreliert sind.
Sowohl das Lokalität- als auch das Nachweisschlupfloch hatten Christian Kurtsiefer von der National University of Singapore und seine Kollegen kürzlich dazu genutzt, um einen Lauschangriff auf Alice und Bob erfolgreich zu kaschieren. Jetzt haben sie mit derselben Methode gezeigt, dass Messungen an einem klassischen System so stark korrelierte Ergebnisse haben können, dass die Bell-Ungleichung verletzt ist.
Dazu stellten sie Photonenpaare mit verschränkten Polarisationen her. Alice und Bob bekamen von jedem Paar ein Photon, an dem sie jeweils ihre Messungen durchführten. Ein solches Photon wurde von einem Strahlteiler mit 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit in einen von zwei Analysatoren gelenkt, die die Polarisation des Photons in der Zustandsbasis „horizontal-vertikal“ (| oder –) oder in der Basis der um 45 Grad gedrehten Zustände (/ oder \) maßen. Das Photon kam bei einem von vier Photodetektoren an, die den vier möglichen Zuständen zugeordnet waren, und löste ihn aus.
Alice und Bob informierten sich offen darüber, bei welchen Photonenpaaren beide Photonen zufällig in derselben Zustandsbases analysiert worden waren, und berücksichtigten nur diese Photonen. Da die Polarisationen verschränkt waren, konnte Alice aus der gemessenen Polarisation ihres Photons die Polarisation von Bobs Photon erschließen – und umgekehrt. Damit hatten Alice und Bob einen zufälligen Bitstring, den nur sie wissen konnten.
Nun kam Eve ins Spiel. Während sie Alices Photon durchließ, fing sie Bobs Photon kurzerhand ab und maß seine Polarisation (z. B. „vertikal“) mit einer Apparatur wie sie auch Bob benutzte. Dann schickte sie Bob einen Laserpuls, der neben einem zirkular polarisierten Anteil auch noch einen starken beispielsweise vertikal polarisierten Puls enthielt. Der zirkular polarisierte Puls erreichte alle vier Photodetektoren. Seine Intensität war so bemessen, dass er die Lawinenphotodetektoren bis zum nächsten Puls blendete. Die Detektoren hatten keine Zeit sich wieder aufzuladen, da laufend kleine Ladungslawinen erzeugt wurden, die unterhalb der Auslöseschwelle blieben. Der Detektor, den zusätzlich noch der vertikal polarisierte Puls erreichte, wurde indes ausgelöst: Dieser Puls war so stark, dass die von ihm freigesetzte Ladungsmenge auch ohne Verstärkung durch Ladungslawinen die Auslöseschwelle überschritt. Bob hörte daraufhin einen Klick in diesem Detektor und schloss auf ein vertikal polarisiertes Photon. Er und Alice analysierten ihre Messungen, fanden die Bell-Ungleichung verletzt und fühlten sich deshalb unbelauscht.
Doch es kam noch schlimmer. Die Forscher ersetzten kurzerhand die verschränkten Photonenpaare durch Paare von Laserpulsen, die wie im ersten Experiment einen zirkular und einen linear polarisierten Anteil hatten. Die Richtung der linearen Polarisation eines Photons wurde jeweils mit einem Zufallsgenerator nach vorgegebenem Muster ausgewählt. Die Laserpulse gaukelten nun sowohl Alice als auch Bob vor, Photonen mit paarweise verschränkten Polarisationen zu erhalten. Die Messungen zeigten, dass die Bell-Ungleichung klar verletzt war, obwohl es sich um „klassische“ Lichtpulse und nicht um einzelne Photonen handelte.
Wie können sich Alice und Bob vor dieser Täuschung schützen? Wenn sie statt des Strahlteilers einen Schalter nehmen, der das Licht nur in einen der beiden Analysatoren lenkt, so werden nur noch 50 Prozent der Laserpulse ein Signal auslösen. Das ist aber immer noch viel mehr, als man beim Nachweis einzelner Photonen erreicht. Alice und Bob würden daher keinen Verdacht schöpfen. Sie könnten stattdessen die Intensität des ankommenden Lichtes messen, um sicherzustellen, dass sie wirklich einzelne Photonen erhalten und keine Laserpulse. Doch wäre ein neues Experiment, bei dem auch Eve neue Tricks anwenden könnte.
Rainer Scharf