09.12.2015

Quantenmetall entdeckt

Zweidimensionaler leitfähiger Zustand liegt zwischen Isolator und Supraleiter.

In zwei Raumdimensionen werden Supraleiter durch kristalline Unordnung plötzlich zu Nichtleitern. Doch jetzt haben Forscher der Columbia University an extrem reinen zweidimensionalen Kristallen neben dem supraleitenden noch einen weiteren Zustand entdeckt, den sie als „Quantenmetall“ bezeichnen.

Abb.: Die nahezu fehlerfreie supraleitende NbSe2-Schicht (links) vor und (rechts) nach Anbringen der Elektroden. (Maßstab: 5 Mikrometer; Bild: A.W. Tsen et al.)

Metalle sind in unserer dreidimensionalen Welt eine nicht seltene Materieform. So haben die meisten chemischen Elemente metallische Eigenschaften. Diese Metalle werden, sofern sie nicht magnetisch sind, bei tiefen Temperaturen supraleitend. Doch in zwei Dimensionen ist alles anders, wenn man der gängigen Theorie glaubt. Bei tiefer Temperatur sollten in einem zweidimensionalen Metall die Leitungselektronen schon bei extrem schwacher kristalliner Unordnung „lokalisieren“ und dadurch ihre Beweglichkeit verlieren, sodass das Material zum Isolator wird. Viele Experimente an extrem dünnen Schichten scheinen diese Vorhersage zu bestätigen: Entweder waren die Schichten supraleitend oder nichtleitend.

Ob eine Schicht bei Abkühlung auf T=0 Kelvin supraleitend oder nichtleitend wird, hängt davon ab, ob ihr normaler elektrischer Flächen­wider­stand kleiner oder größer ist als das Widerstands­quantum für Elektronenpaare: R = h/(2e)2 = 6,4 kΩ. Erhöht man den Grad der Unordnung in der Schicht, dann nimmt ihr Flächenwiderstand zu. So kann man erreichen, dass die Schicht bei 0 Kelvin von der supraleitenden in die nichtleitende Phase übergeht. Dieser Übergang, der nicht thermisch, sondern durch Unordnung hervorgerufen wird, ist ein Quanten­phasen­übergang.

Einige neuere Experimente mit extrem reinen Schichten, die praktisch keine Unordnung enthalten, sodass ihr Flächen­wider­stand deutlich unterhalb von 6,4 kΩ liegt, gaben Hinweise darauf, dass nahe 0 Kelvin eine weitere Phase auftritt, die sich an die supraleitende Phase anschließt. Forscher um Cory Dean und Abhay Pasupathy von der Columbia University haben jetzt die Existenz dieser Phase nachgewiesen und ihre Eigenschaften untersucht.

Abb.: Das Phasendiagramm zeigt die zweidimensionale supraleitende (2D SC) Phase, die normalleitende Phase, die TAFF-Phase mit frei beweglichen Flusswirbeln und die noch rätselhafte „quantenmetallische“ Phase. Da die Schicht perfekt geordnet ist und ihre Leitungs­elektronen nicht durch Unordnung lokalisiert werden, tritt keine nichtleitende Phase auf, wie man sie für weniger perfekte Schichten beobachtet hat. (Bild: A.W. Tsen et al.)

Dazu verwendeten sie Niobium­diselenid (NbSe2), das bei Zimmer­temperatur ein besserer elektrischer Leiter ist als Graphit und unterhalb von etwa 7 Kelvin supraleitend wird. Sie stellten extrem fehlerfreie doppellagige NbSe2-Schichten her, die sie von einem Kristall dieses Materials abgeschält hatten. Mit einem ähnlichen Verfahren präpariert man Graphenschichten. Unter einer Schutz­atmosphäre aus Stickstoff wurden die einzelnen NbSe2-Schichten auf eine Siliziumoxidunterlage gelegt, mit Graphit­anschlüssen und Goldelektroden versehen und mit einer Schicht aus Bornitrid versiegelt.

Im normalen Zustand oberhalb von 6 Kelvin hatte die Schicht einen Widerstand von 75 Ω, also deutlich unter 6,4 kΩ, sodass sie erwartungsgemäß bei weiterer Abkühlung supraleitend wurde: Ihr elektrischer Widerstand stürzte bei der kritischen Temperatur Tc=5,26 Kelvin ab und verschwand bei etwa 4,5 Kelvin völlig. Sodann setzten die Forscher die Schicht einem senkrechten Magnetfeld von bis zu 3 Tesla aus. Sie maßen den elektrischen Widerstand der Schicht in Abhängigkeit von der Temperatur und der Magnetfeldstärke und trugen das Ergebnis in ein Phasen­diagramm ein.

Neben der supraleitenden Phase bei tiefer Temperatur und nicht zu starkem Magnetfeld traten zwei weitere Tieftemperatur­phasen auf („Quantum Metal“ und „Thermally Assisted Flux Flow“ oder TAFF-Phase). In ihnen spielen magnetische Flusswirbel eine wichtige Rolle. In der supraleitenden Phase umgeben die Flusswirbel die in die Schicht eindringen Feldlinien und schirmen so das supraleitende Material gegen den störenden Magnetismus ab.

Mit zunehmender Temperatur entstehen zusätzliche Paare von Flusswirbeln und Antiwirbeln, die aneinander gebunden sind. Sie lassen den supraleitenden Zustand auf eine noch unverstandene Weise zusammenbrechen, sodass die Schicht in dieser „metallischen“ Phase einen endlichen Widerstand bekommt. Möglicherweise treten neue bosonische Anregungen in der Schicht auf, sodass sich die für die Supraleitung verantwortliche Energielücke im Anregungs­spektrum schließt. Da es sich offenbar um einen Quanteneffekt handelt, sprechen die Forscher von einem „Quantenmetall“.

Bei noch höherer Temperatur brechen die Paare von Wirbeln und Antiwirbeln auf, sodass sich diese nun unabhängig voneinander bewegen. Es kommt zu einem Berezinsky-Kosterlitz-Thouless- oder BKT-Übergang in die TAFF-Phase, bei dem die in der supraleitenden Phase enthaltende langreichweitige Ordnung endgültig zerstört wird. Die sich bewegenden Flusswirbel verursachen Dissipation, sodass sich die Elektronen nicht mehr reibungslos in der Schicht bewegen. Unordnung in der Schicht würde die Elektronen schließlich lokalisieren und die Schicht nichtleitend machen.

Während der BKT-Übergang von einem Supraleiter in einen Normal- oder Nichtleiter gut verstanden ist, wirft der quanten­metallische Zustand der NbSe2-Schicht noch viele Fragen auf. Koppeln in ihm die Flusswirbel an elektrisch neutrale Spinanregungen, oder bricht die supraleitende Schicht in einzelne Inseln auf, die von nichtleitendem Material umgeben sind? Weitere Experimente mit nahezu fehlerfreien zwei­dimensionalen Supraleitern sollen hier Aufschluss geben.

Rainer Scharf

DE

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