Quantenpfade für kohärente Phononen
Neues Konzept zur Anregung und Abtastung von kohärenten Phononen in Kristallen.
Die Atome in einem Kristall bilden ein regelmäßiges Gitter, in dem sie sich über kurze Distanzen aus ihren Gleichgewichtspositionen bewegen können. Solche Phononanregungen entsprechen Quantenzuständen. Eine Überlagerung von Phononzuständen definiert ein Phononenwellenpaket, das mit kollektiven kohärenten Schwingungen der Atome im Kristall verbunden ist. Kohärente Phononen lassen sich durch Anregung des Kristalls mit einem Femtosekunden-Lichtimpuls erzeugen und ihre Bewegungen in Raum und Zeit durch Streuung eines ultrakurzen Röntgenimpulses am angeregten Material verfolgen. Das Muster der gestreuten Röntgenstrahlen gibt direkten Einblick in die momentane Position der Atome und die Abstände zwischen ihnen. Die schnelle Folge solcher Momentaufnahmen liefert einen Film atomarer Bewegungen.
Die physikalischen Eigenschaften kohärenter Phononen werden durch die Symmetrie des Kristalls bestimmt, der eine periodische Anordnung identischer Einheitszellen darstellt. Eine schwache optische Anregung ändert die Symmetrieeigenschaften des Kristalls nicht. In diesem Fall werden kohärente Phononen mit identischen atomaren Bewegungen in allen Einheitszellen angeregt. Im Gegensatz dazu kann eine starke optische Anregung die Symmetrie des Kristalls brechen und Atome in benachbarten Einheitszellen unterschiedlich schwingen lassen. Dieser Mechanismus birgt das Potenzial auch andere Phononen anzuregen, ist bisher jedoch noch nicht untersucht worden.
Nun haben Forscher des Max-Born-Instituts in Berlin in Zusammenarbeit mit Kollegen der Universität Duisburg-Essen ein neuartiges Konzept zur Anregung und Abtastung von kohärenten Phononen in Kristallen mit vorübergehend gebrochener Symmetrie vorgestellt. Der Schlüssel zu diesem Konzept liegt in der Reduktion der Symmetrie eines Kristalls durch geeignete optische Anregung, wie nun für das prototypische kristalline Halbmetall Bismut (Bi) demonstriert.
Die Anregung von Elektronen durch ultrakurze Lichtimpulse im mittleren Infrarotbereich in Bi verändert die räumliche Ladungsverteilung und reduziert damit vorübergehend die Kristallsymmetrie. In der reduzierten Symmetrie eröffnen sich neue Quantenpfade für die Anregung kohärenter Phononen. So führt die Symmetrieverringerung zu einer Verdoppelung der Größe der Einheitszelle mit zwei Bi Atomen zu einer Struktur mit vier Bi Atomen. Zusätzlich zu der unidirektionalen atomaren Bewegung erlaubt die Einheitszelle mit vier Bi-Atomen kohärente Phononenwellenpakete mit bidirektionalen atomaren Bewegungen.
Die direkte Untersuchung der transienten Kristallstruktur mittels Femtosekunden-Röntgenbeugung zeigt Oszillationen der Beugungsintensität, die auf einer Pikosekunden-Zeitskala bestehen bleiben. Die Oszillationen entstehen durch kohärente Wellenpaketbewegungen entlang der Phononkoordinaten im Kristall mit reduzierter Symmetrie. Ihre Frequenz von 2,6 Terahertz unterscheidet sich von der Frequenz der Phononenschwingungen bei niedrigen Anregungsdichten. Interessanterweise tritt dieses Verhalten nur oberhalb eines Schwellenwerts der optischen Anregungsdichte auf und spiegelt den hochgradig nichtlinearen, nicht-perturbativen Charakter des optischen Anregungsprozesses wider.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich durch die optisch induzierte Symmetriebrechung das Anregungsspektrum eines Kristalls auf ultrakurzen Zeitskalen verändern lässt. Diese Ergebnisse könnten den Weg für die transiente Kontrolle von Materialeigenschaften und damit für neue Anwendungen in der Optoakustik und beim optischen Schalten bereiten.
MBI / JOL