12.05.2020

Quantensprung auf der Atomwaage

Winzige Massenveränderung einzelner Atome erstmals vermessen.

Ein neuer Zugang zur Quantenwelt tut sich auf: Wenn ein Atom über den Quanten­sprung eines Elektrons Energie aufnimmt oder abgibt, wird es schwerer oder leichter. Allerdings ist dieser Effekt bei einem einzelnen Atom extrem klein. Trotzdem gelang es nun einer inter­nationalen Koopera­tion unter der Führung eines Teams um Klaus Blaum und Sergey Eliseev am Max-Planck-Institut für Kernphysik, diese winzige Massen­veränderung einzelner Atome erstmals zu messen. Sie setzte dafür die ultrapräzise Atomwaage Pentatrap am Institut in Heidelberg ein. Damit entdeckte die Kooperation in Rhenium einen bislang unbeo­bachteten Quanten­zustand, der für zukünftige Atomuhren interessant sein könnte. Vor allem ermöglicht diese extrem empfindliche Atomwaage jedoch ein besseres Verständnis der komplexen Quantenwelt schwerer Atome.

Abb.: Diese sehr präzise Atom­waage Pentatrap besteht aus fünf...
Abb.: Diese sehr präzise Atom­waage Pentatrap besteht aus fünf über­einander ange­ordneten Penning­fallen. (Bild: MPIK)

Zieht man eine mechanische Uhr auf, wird sie schwerer, ebenso ein Smartphone beim Aufladen. Ursache ist die Äquivalenz von Energie und Masse, laut Einstein E = mc2. Allerdings ist dieser Effekt so klein, dass er sich unserer Alltags­erfahrung völlig entzieht. Keine uns zugängliche Waage könnte ihn erfassen. Doch die Atomwaage Pentatrap kann die winzige Massen­änderung eines einzelnen Atoms messen, wenn darin ein Elektron über einen Quantensprung Energie aufnimmt oder abgibt. „Durch Wiegen eines sechs Tonnen schweren Elefanten könnten wir feststellen, ob eine zehn Milligramm leichte Ameise auf ihm herum­krabbelt“, veran­schaulicht Rima Schüssler. 

Pentatrap besteht aus fünf Penning­fallen. Damit eine solche Falle ein Atom wiegen kann, muss es elektrisch geladen sein. Einem Rhenium-Atom wurden dazu 29 seiner 75 Elektronen weggenommen, weshalb es sehr stark geladen ist, was die Mess­genauigkeit steigert. Die Falle fängt dieses hoch­geladene Rheniumion in einer Kombination aus einem Magnetfeld und einem speziell geformten elektrischen Feld ein. Darin läuft es in einer Kreisbahn um, die komplex in sich verschraubt ist. Im Prinzip kann man sich das wie eine Kugel an einem Seil vorstellen, die man in der Luft rotieren lässt. Tut man dies mit immer gleicher Kraft, dann rotiert eine schwerere Kugel langsamer als eine leichtere.

In Pentatrap liefen zwei Rhenium-Ionen abwechselnd in den übereinander­liegenden Fallen um. Ein Ion befand sich im energetisch niedrigsten Quanten­zustand. Im zweiten Ion wurde bei seiner Erzeugung ein Elektron durch Zufuhr von Energie zufällig in einen höheren Zustand angeregt – gewisser­maßen war es die aufgezogene Uhr. Durch die gespeicherte Energie wurde es minimal schwerer und lief damit langsamer um als das erste Ion. Pentatrap zählt die Anzahl der Umläufe pro Zeiteinheit präzise mit, und die Differenz der Umlaufzahlen ergab den Gewichts­zuwachs. Mit dieser Methode entdeckte das Team im Rhenium einen extrem langlebigen Quanten­zustand. Er ist metastabil, zerfällt also nach einer gewissen Lebensdauer. Diese liegt aber bei 130 Tagen, haben Theoretiker des Instituts um Zoltán Harman und Christoph H. Keitel, der Universität Heidelberg und vom Laboratoire Kastler Brossel in Paris errechnet. Es zeigte sich auch, dass die Lage des Quanten­zustands sehr gut mit Modell­rechnungen mit modernsten quanten­mechanischen Methoden übereinstimmt.

Solche angeregten elek­tronischen Zustände in hochgeladenen Ionen sind für Grundlagenforschung interessant, aber auch für eine mögliche Anwendung in zukünftigen Atomuhren, wie sie die Arbeits­gruppe um José Crespo López-Urrutia am Institut in Kooperation mit der Physikalisch-Technischen Bundes­anstalt PTB erforscht. Für diese ist der meta­stabile Zustand in Rhenium aus mehreren Gründen attraktiv. Zum einen entspricht er wegen seiner Lang­lebigkeit einer scharfen Umlauf­frequenz des Elektrons um den Atomkern. Zum andern kann das Elektron mit weichem Röntgen­licht zum Sprung in diesen Quanten­zustand angeregt werden. Im Prinzip könnte eine solche Uhr schneller und damit noch genauer ticken als die derzeitige Generation optischer Atomuhren. Allerdings ist es nach Ansicht von Ekkehard Peik, der an der PTB den Bereich „Zeit und Frequenz“ leitet und an der Arbeit nicht beteiligt war, noch zu früh für Speku­lationen, ob sich die Entdeckung für eine neue Generation von Atomuhren eignen könnte.

„Diese neue Methode zur Entdeckung langlebiger Quanten­zustände ist aber spektakulär“, betont der Physiker. Er könnte sich vorstellen, dass mit solchen neuen Quantenzuständen arbeitende Atomuhren erst einmal ein neues Testfeld für die Grundlagen­forschung bieten könnten. Weil den Rhenium­ionen viele sich gegenseitig abschirmende Elektronen fehlen, spüren die übrig­gebliebenen Elektronen das elektrische Feld des Atomkerns besonders stark. Folglich rasen sie mit so hohen Geschwin­digkeiten um den Kern herum, dass ihre Bewegung mit Einsteins Spezieller Relativitäts­theorie beschrieben werden muss. Mit der neuen Atomwaage ließe sich auch hochpräzise testen, ob die Spezielle Relativitäts­theorie und die Quanten­theorie hier so zusammenspielen, wie dies die Theorie bislang beschreibt.

Ganz allgemein bietet die neue Atomwaage einen neuen Zugang zum quanten­haften Innenleben größerer Atome. Da diese aus vielen Elektronen, Protonen und Neutronen bestehen, lassen sie sich nicht exakt berechnen. Daher beruhen die Atommodelle der Theorie zwangsweise auf Verein­fachungen, und diese können nun extrem genau überprüft werden. Darüber hinaus gibt es auch schon die Idee, solche Atome als Sonden für die Suche nach unbekannten Teilchen zu benutzen, die sich allein über die extrem schwache Gravitations­kraft bemerkbar machen. Diese dunkle Materie ist eines der größten, ungelösten Rätsel der Physik.

MPIK / JOL

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