20.05.2016

Quantisierter Stromfluss

Elektronenfluss durch Engstellen in Graphen zeigt charakteristische Sprünge.

Dass Graphen ganz bemerkenswerte Eigenschaften hat, ist bekannt. Bereits 2010 wurde der Nobel­preis für die Entdeckung dieses ganz besonderen Materials vergeben, das aus einer Schicht waben­förmig angeordneter Kohlenstoff­atome besteht. Doch je weiter die Graphen-Forschung fortschreitet, umso mehr bemerkens­werte Effekte kann man dem Material entlocken. Nun gelang es einem internationalen Forschungs­team mit Beteiligung der TU Wien, das Verhalten der Elektronen zu erklären, die sich durch enge Stellen in einer Graphen-Schicht bewegen.

Abb.: Eine Elektronenwelle schwappt durch eine Engstelle im Graphen. (Bild: E. Puttonen)

„Wenn Strom durch Graphen fließt, dann sollte man sich die Elektronen nicht vorstellen wie kleine Kugeln, die durch das Material rollen“, sagt Florian Libisch vom Institut für Theoretische Physik der TU Wien, der den theoretischen Teil des Projektes leitete. Die Elektronen schwappen als lang­gestreckte Wellen­front durch das Material, die Wellen­länge des Elektrons kann hundert­fach größer sein als der Abstand zwischen den Kohlenstoff­atomen. „Das Elektron sitzt nicht auf einem bestimmten Kohlenstoff­atom, es befindet sich gewisser­maßen überall gleichzeitig“, erklärt Libisch.

Die Forscher haben das Verhalten der Elektronen untersucht, die sie sich durch Engstellen im Graphen hindurch­zwängen müssen. „Je schmäler diese Verengung wird, umso weniger Strom fließt hindurch“, sagt Florian Libisch. „Allerdings zeigt sich, dass der Zusammen­hang zwischen dem Stromfluss, dem Durch­messer der Engstelle und der Energie der Elektronen ziemlich kompliziert ist. An bestimmten Stellen weist er charakteristische Sprünge auf, das ist ein klarer Hinweis auf Quanten­effekte.“

Ist die Wellenlänge des Elektrons so groß, dass sie nicht durch die Eng­stelle hindurchpasst, ist der Stromfluss sehr gering. „Wenn man die Energie des Elektrons erhöht, dann wird seine Wellen­länge kleiner“, erklärt Libisch. „Irgendwann passt dann eine Wellen­länge durch die Eng­stelle, dann zwei, dann drei – dadurch erhöht sich auch der Stromfluss in charakteristischen Stufen.“ Der Stromfluss wächst nicht kontinuierlich, er ist quantisiert.


Dieser Effekt lässt sich auch in anderen Materialien beobachten – ihn in Graphen aufzuspüren, war aber bedeutend schwieriger, weil es durch die ungewöhnlichen elektronischen Eigenschaften des Materials zu verschiedenen zusätzlichen Effekten kommt. Die Experimente wurden an der RWTH Aachen in der Gruppe von Christoph Stampfer durchgeführt, theoretische Rechnungen und Computer­simulationen in Wien von Larisa Chizhova und Florian Libisch in der Gruppe von Joachim Burgdörfer. Beides ist äußerst heraus­fordernd: Für die Experimente musste man die Graphen-Stücke nanometergenau in Form bringen, stabilisiert wurden sie, indem man das Graphen zwischen Atom­lagen von hexagonalem Bornitrid einschloss.

Ähnlich herausfordernd ist es, die Experimente am Computer zu simulieren. „Ein frei bewegliches Elektron in der Graphen-Schicht kann so viele verschiedene Quanten­zustände annehmen, wie es dort Kohlenstoff­atome gibt“, sagt Florian Libisch. „In unserem Fall sind das über zehn Millionen.“ Das macht die Rechnungen extrem aufwändig – will man etwa ein Elektron in einem Wasserstoff­atom beschreiben, kommt man mit einigen wenigen Quanten­zuständen gut aus. Das Team vom Institut für Theoretische Physik entwickelte daher Computer­codes, die am Hochleistungs­rechner VSC3 an der TU Wien auf hunderten Prozessoren gleichzeitig laufen.

Eine wichtige Rolle für das Verhalten von Graphen spielt der Randbereich des Materials: „Nachdem die Atome in einer sechs­eckigen Wabenform angeordnet sind, ist der Rand niemals eine völlig gerade Linie, er ist auf atomarer Skala betrachtet immer gezackt“, sagt Florian Libisch. Die Elektronen können dort spezielle Rand­zustände einnehmen, die einen wichtigen Einfluss auf die elektronischen Eigen­schaften des Materials haben. „Nur mit Computer­simulationen auf extrem großer Skala auf den größten heute verfügbaren Computer­clustern können wir die experimentell hergestellten Graphen­strukturen detailliert simulieren, und diesen Rand­zuständen auf die Spur kommen“, sagt Libisch. „Wie die augezeichnete Über­einstimmung von Rechnung und Experiment zeigt, ist uns das gut gelungen.“

Die Entdeckung von Graphen öffnete die Tür zur Erforschung ganz unterschiedlicher ultradünner Materialien, die nur aus einzelnen Atomlagen bestehen. Speziell die Kombination dieser Schichten, zum Beispiel wie hier Graphen mit hexagonalem Bornitrid – verspricht in Zukunft spannende Erkenntnisse und neue Anwendungen im Bereich der Nano­elektronik. „Bedenkt man, dass die Größe der Transistoren in der heutigen Elektronik schon im Zwanzig-Nanometer Bereich liegt, wird man für die Elektronik von morgen auf jeden Fall viel über Quanten­physik wissen müssen“, ist Libisch sicher.

TU Wien / DE

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