Quasiteilchen im Einkristall
Erstmals Weyl-Fermionen nachgewiesen – 86 Jahre nach ihrer Postulierung.
Festkörperphysiker haben schon einige exotische Teilchen aufgespürt, etwa magnetische Monopole oder Majorana-Fermionen. Jetzt hat ein internationales Forscherteam in einem Kristall aus Tantalarsenid das lang gesuchte masselose Weyl-Fermion entdeckt, das der Mathematiker Hermann Weyl 1929 postuliert hatte. Wie das Majorana-Fermion gehört auch das Weyl-Fermion zu den relativistischen Spin-1/2-Teilchen, die durch die Dirac-Gleichung beschrieben werden. Darin wird die Zustandsinformation für die beiden Spin-Komponenten des Teilchens wie auch seines Antiteilchens in einem Vektor aus vier Komponenten zusammengefasst. Für das Majorana-Fermion, das sein eigenes Antiteilchen ist, reicht eine vereinfachte Gleichung mit zwei Komponenten.
Abb.: (A) Die Fermi-Bögen (grün) der Oberflächenzustände liegen nahezu perfekt über den Weyl-Punkten (rot) im Innern der Brillouin-Zone, wo die Weyl-Fermionen sitzen. (B) Perspektivisch dargestellt erkennt man, dass jeweils zwei Weyl-Punkte nahezu übereinander liegen, sodass auch jeweils zwei dicht nebeneinander liegende Fermi-Bögen auftreten. (Bild: S.-Y. Xu et al. / AAAS)
Auch das masselose Weyl-Fermion lässt sich durch eine zweikomponentige Gleichung beschreiben, da es in zwei verschiedenen Versionen mit unterschiedlicher Chiralität oder Händigkeit vorkommt, die sich unabhängig voneinander entwickeln. Beim rechtshändigen Weyl-Fermion zeigen Spin und Impuls in dieselbe Richtung, beim linkshändigen in entgegengesetzte Richtungen. Das rechtshändige Weyl-Fermion und sein linkshändiges Antiteilchen bilden gewissermaßen eine andere Teilchensorte als das linkshändige Weyl-Fermion und sein rechtshändiges Antiteilchen.
Weyl-Fermionen spielen eine wichtige Rolle im Standardmodell der Teilchenphysik, doch als Elementarteilchen konnte man sie bisher nicht nachweisen. Festkörperphysikern war indes aufgefallen, dass in bestimmten Halbmetallen Quasiteilchen auftreten können, die sich möglicherweise wie Weyl-Fermionen verhalten. In diesen Substanzen berühren sich das Valenz- und das Leitungsband in isolierten Punkten im Impulsraum, sodass dort niederenergetische elektronische Anregungen auf einem Doppelkegel oder „Diabolo“ liegen – wie das auch bei masselosen Dirac-Teilchen der Fall ist. Spin-Bahn-Kopplung kann dann die rechts- und die linkshändigen Quasiteilchen voneinander trennen.
Auf der Jagd nach dem Weyl-Fermion hatten Forscher um Zahid Hasan von der Princeton University für einige hundert aussichtsreiche kristalline Stoffe die Struktur der Energiebänder berechnet. Als besonders vielversprechend erwies sich Tantalarsenid, das einen halbmetallischen, nichtmagnetischen Kristall ohne Inversionssymmetrie bildet. Wie die vor einem Monat veröffentlichten Berechnungen der Forscher zeigen, berühren sich das Valenz- und das Leitungsband im Impulsraum dieses Kristalls in insgesamt 24 Punkten.
An je 12 dieser 24 „Weyl-Punkte“ sollten rechts- bzw. linkshändigen Weyl-Fermionen auftreten. Diese Punkte tragen daher entweder die chirale Ladung +1 oder –1, die sie topologisch stabilisiert, sodass sie auch bei einer leichten Störung des Kristalls erhalten bleiben. Sie können nur verschwinden, indem sie sich paarweise annihilieren. Die Weyl-Punkte sind chirale Monopole, die zu elektronischen Anregungen im Kristallvolumen gehören. Doch sie beeinflussen auch die elektronischen Zustände an der Kristalloberfläche.
Die Menge der Oberflächenzustände, die auf der Fermi-Fläche liegen, welche die besetzten von den unbesetzten elektronischen Zuständen trennt, bildet normalerweise geschlossene Kurven im Impulsraum. Beim Weyl-Halbmetall TaAs ist das anders. Wie die Berechnungen ergaben, treten hier offene Kurven auf, Fermi-Bögen genannt. Jeder Endpunkt eines Bogens gehört zu einem der unter ihm in der Brillouin-Zone liegenden Weyl-Punkte.
Die Weyl-Punkte in der Brillouin-Zone und die Fermi-Bögen der Oberflächenzustände sind demnach eindeutige Indizien für Weyl-Fermionen, nach denen Zahid Hasan und seine Kollegen jetzt an einem salzkorngroßen TaAs-Einkristall Ausschau gehalten haben. Sie haben die Energien der elektronischen Zustände an der Oberfläche und im Innern des Kristalls mit winkelaufgelöster Photoemissionsspektroskopie vermessen. Dazu haben sie ihn mit UV- bzw. weicher Röntgen-Strahlung beleuchtet und die freigesetzten Elektronen nach Energie und Flugrichtung analysiert. Tatsächlich zeigten sich im Innern der Brillouin-Zone deutlich Weyl-Punkte mit Doppelkegeln, und auch für die Oberflächenzustände traten die erwarteten Fermi-Bögen auf, die so angeordnet waren, dass man die Weyl-Punkte direkt auf die Endpunkte der Fermi-Bögen projizieren konnte. Die theoretischen Vorhersagen für ein Weyl-Halbmetall mit Weyl-Fermionen wurden somit eindrucksvoll bestätigt.
Zwischen den Weyl- Halbmetallen und den intensiv untersuchten topologischen Isolatoren, die den elektrischen Strom nur an ihrer Oberfläche leiten, besteht ein Zusammenhang. Schließt sich bei einem normalen Isolator die Bandlücke unter Bildung von Weyl-Punkten, so entsteht ein Weyl-Halbmetall mit Fermi-Bögen für die Oberflächenzustände. Wenn sich die Weyl-Punkte annihilieren, kommen die Fermi-Bögen paarweise an ihren Endpunkten zusammen und bilden geschlossene Kurven. Diese entsprechen Leitungszuständen an der Kristalloberfläche, während das Kristallinnere wieder nichtleitend wird, sodass ein topologischer Isolator entsteht.
Hasan betont, dass die jetzt entdeckten Weyl-Fermionen die robusteste quantenmechanisch koordinierte Bewegungsform von Elektronen sind. Da ihre Bewegungsrichtung starr an ihre Spinrichtung gebunden ist, können Weyl-Fermionen von nichtmagnetischen Störstellen nicht zurückgestreut werden. Sie haben deshalb eine außerordentlich hohe Mobilität, was sie für Anwendungen in der Hochgeschwindigkeitselektronik interessant macht. Ihre Chiralität wiederum könnte man für die Spintronik oder das fehlertolerante Quantencomputing nutzen.
Rainer Scharf
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