19.06.2018

Rätsel um extreme Tau-Teilchen

Messung am IceCube-Detektor könnte astrophysikalisches Neutrinospektrum erweitern.

Vor acht Jahren wurde am Südpol der IceCube-Detektor in Betrieb genommen, eine Forschungs­station zur Suche nach Neutrinos aus dem Weltall. Drei Jahre später erschienen die ersten bahn­brechenden Ergebnisse. Die Entdeckung von hochener­getischen Neutrinos durch IceCube hat neue Wege zum Verständnis des Universums eröffnet. „Diese Neutrinos mit ihrer hohen Energie sind neue kosmische Boten und es ist außer­ordentlich wichtig, dass wir ihre Nachricht genau verstehen“, sagt Ranjan Laha von der Johannes Guten­berg-Univer­sität Mainz JGU. Der Physiker hat zusammen mit einem Kollegen der US-ameri­kanischen Stanford Univer­sity einen Vorschlag unter­breitet, wie die kosmische Botschaft anders als bisher inter­pretiert werden könnte. Nach Berechnung der beiden Physiker könnte es sich um extrem hochener­getische Tau-Partikel handeln, die den IceCube-Detektor passiert haben.

Abb.: Im Juni 2014 verzeichneten die Sensoren des IceCube-Neutrinoobservatoriums eine Spur mit einer außergewöhnlich hohen Energie. (Bild: J. Yang, IceCube Collab.)

Neutrinos sind fast masse­lose Teilchen, die Materie nahezu unbemerkt durch­dringen und daher sehr schwer zu entdecken sind. Für die Wissen­schaft sind sie besonders wertvoll, da sie aus den Tiefen des Weltalls zum Beispiel von explo­dierten Sternen fast unge­hindert bis zur Erde vordringen und uns hier von dem Geschehen im Kosmos berichten. Beim Neutrino­observatorium IceCube liegen die einzelnen Detektor­elemente gut abgeschirmt von Störfaktoren im antark­tischen Eis, verteilt auf ein Volumen von einem Kubik­kilometer. Das Projekt vermeldete 2013 zum ersten Mal die Entdeckung hochener­getischer Neutrinos aus dem All, seitdem wurden zahlreiche weitere Ereig­nisse verzeichnet.

Matthew Kistler von Stanford und Ranjan Laha haben die Ereig­nisse untersucht und sind dabei vor allem einem Rätsel nachge­gangen: Im Juni 2014 verzeich­neten die Sensoren von IceCube eine Spur mit einer außer­gewöhnlich hohen Energie. Das Ereignis gab 2,6 Petaelek­tronenvolt (PeV) ab. Zum Vergleich: Zusammenstöße von Protonen im größten Teilchenbeschleuniger der Welt, dem Large Hadron Collider am CERN, erfolgen mit einer Energie von 0,013 PeV. „Diese Spur vom Juni 2014 wirft sofort Fragen auf“, sagt Laha mit dem Hinweis, dass es sich bis heute um das Ereignis mit der höchsten Energie handelt. „Vor allem die Frage, welche Art von Neutrino eine solche Spur hinter­lässt.“

Auf der Suche nach einer Antwort haben sich die beiden Physiker zunächst der Standard­annahme zugewandt, nämlich dass die Spur von einem Myon abstammt. Ein Myon-Neutrino hätte sich bei einem Zusammen­stoß mit einem Atomkern in ein Myon umge­wandelt, das von den optischen Sensoren des IceCube-Detektors entdeckt worden wäre. „Wir zeigen, dass diese Annahme ziemlich unwahr­scheinlich ist“, so Laha. Statt­dessen erwägen die Wissen­schaftler die Möglichkeit, dass die Spur von einem hochener­getischen Tau-Lepton stammen könnte – eine komplett neue und unkonven­tionelle Deutungs­weise. Um 2,6 PeV im Detektor abzugeben, bräuchte das entsprechende Tau-Neutrino eine Anfangs­energie von mindestens 50 PeV. „Ein Tau-Teilchen, das den Detektor auf einer Länge von einem Kilometer ohne Zerfall durchläuft und dabei eine Energie von 2,6 PeV abgibt, müsste von einem Neutrino mit einer wesentlich höheren Energie stammen“, erklärt Laha. „Dies würde ein völlig unerwar­tetes Fenster öffnen, um astro­physikalische Neutrinos mit Energien bei 100 PeV wahrzu­nehmen.“

Abb.: Spektrum der aufsteigenden Taus als Funktion der Energie des Taus beim Eintritt in IceCube: Das vertikale Band zeigt die benötigte Energie des Tau-Teilchens an, um 2,6 PeV in IceCube zu deponieren. (Bild: M. D. Kistler & R. Laha)

Im Rahmen ihrer Unter­suchung zeigen die Wissen­schaftler, dass es sich bei dem 2,6-PeV-Ereignis vermutlich um eine neuartige Kompo­nente des astro­physikalischen Neutrino­spektrums handelt. Bei den Ereignissen, die IceCube verzeichnet, wäre normalerweise eine gewisse Kontinuität zu erwarten. Der Abstand zwischen dem genannten Ereignis mit der bis heute höchsten Energie und den anderen gemessenen Daten ist allerdings unge­wöhnlich groß. „Wir wissen nicht genau, um was für eine Spur es sich bei den 2,6 PeV handelt, aber mit ziem­licher Sicherheit nicht um ein durch­ziehendes Myon, vielleicht aber um ein Tau-Teilchen“, so Laha. „Wir halten das Ereignis insgesamt für so bedeutsam, dass es weiter untersucht werden sollte. Und wir brauchen noch mehr Daten, um Genaueres zu erfahren und die kosmische Botschaft zu ent­ziffern.“

JGU Mainz / JOL

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