Rätselhafte Spuren in Röntgens Labor
Internationale Suche liefert Erklärung für seltsame mathematische Formeln.
Tony Bracken ist emeritierter Professor für Mathematik der University of Queensland in Australien. So ist es nicht verwunderlich, dass eine seltsame Beobachtung bei seinem jüngsten Besuch als Tourist in Würzburg seine Neugierde weckte. „In der Röntgen-
Abb.: Zwei mysteriöse Formeln im Eingang der Röntgen-
Auf der Suche nach einer Lösung für dieses Rätsel wandte sich Bracken zunächst an die Pressestelle der Uni Würzburg. Doch dort konnte man ihm nicht weiterhelfen. Licht in das Dunkel sollte erst ein Brief bringen, den Bracken in „Physics World“ veröffentlichte, in dem er die Formeln wiedergab. „Mich hat daraufhin ein englischer Physiker im Ruhestand kontaktiert, der seinerseits Kollegen in Deutschland befragt hatte“, schreibt Bracken.
Und tatsächlich: Einer dieser deutschen Kollegen hatte die Frage an die Hochschule für angewandte Wissenschaften in Würzburg weitergeleitet, in deren Besitz sich heute das Gebäude am Röntgenring befindet. Von dort erhielt er einen Zeitungsartikel, der 1971 in der Main-Post erschienen war und der sich mit den seltsamen Formeln beschäftigte. Eine eingescannte Version des Artikels lag der Post an Bracken bei.
Unter der Überschrift „sin x und sin y unter den Füßen“ hatte sich der Autor Ernst Nöth am 2. Juli 1971 mit der Bedeutung der Formeln beschäftigt. Das Ergebnis: Die mathematischen Formeln bilden die Grundlage für das Muster der Bodenfliesen, die in dem Gebäude zu sehen sind. Zum Beweis zitiert Nöth aus einer handschriftlichen Chronik von Friedrich Wilhelm Georg Kohlrausch, der von 1875 bis 1888 als Vorgänger von Wilhelm Conrad Röntgen Ordinarius für Physik an der Uni Würzburg gewesen war: „Die Fußbodenplattung am Eingang wurde nach Zeichnungen des Assistenten Dr. Strouhal aus Gefälligkeit von Villeroy und Boch in Mettlach unter Leitung des Ingenieurs Hrn. Urbach hergestellt. Die Curven fanden sich in einer amerikanischen Abhandlung von Newton und Philipps.“
Vinzenz Strouhal, auf den die Zeichnung der Bodenplatten also zurückgeht, stammte aus Prag und war von 1875 bis 1879 wissenschaftlicher Assistent bei Kohlrausch und anschließend Privatdozent. 1882 kehrte er nach Prag zurück – als einer der Gründungsprofessoren im Bereich Physik an der Karls-
1875 hatte Friedrich Kohlrausch die ersten Pläne für das Physikalische Institut am späteren Röntgenring gezeichnet. Es sollten allerdings drei Jahre vergehen, bis der Landtag den Bau bewilligte. Am 18. Mai 1878 wurde mit dem Bau begonnen, am 8. November 1879 wurde das Institut eröffnet. Exakt 16 Jahre später – am 8. November 1895 – sollte Wilhelm Conrad Röntgen dort die Entdeckung machen, die noch heute mit seinem Namen verbunden ist.
Damit ist also klar, dass die Formeln nichts mit Röntgens Forschung zu tun haben. Und eine Suche nach der „amerikanischen Abhandlung von Newton und Philipps“, aus der sie stammen sollen, wurde bisher noch nicht gestartet. Immerhin konnte Anja Schlömerkemper, Inhaberin des Lehrstuhls für Mathematik in den Naturwissenschaften an der Uni Würzburg, bestätigen, dass die Formeln tatsächlich für das Fliesenmuster im Eingangsbereich des einstigen Physikalischen Instituts stehen. Mit Hilfe des Programms Mathematica konnte die Professorin die Kurven anhand der Formeln graphisch darstellen. „Die Formel, in der 0.4375 vorkommt, entspricht dem Ornament auf den äußeren Fliesen; die andere Formel, also die mit 1.3685, entspricht dem Muster auf den inneren Fliesen“, erklärt Schlömerkemper.
Und was bleibt nun als Fazit? Zumindest die Aussage, dass die Spuren im Boden der Röntgen-
JMU / RK