27.11.2020

Rätselhafter Protonenradius

Frequenzkamm-Spektroskopie ermöglicht extrem genaue Bestimmung des Protonenradius.

Wissenschaftlern am Max-Planck-Institut für Quantenoptik ist es gelungen, die Quanten­elektrodynamik mit bis dahin unerreichter Genauigkeit auf dreizehn Nachkomma­stellen zu testen. Die neue Messung des 1S-3S Übergangs im atomaren Wasserstoff ergibt einen Protonenradius fast doppelt so genau wie alle bisherigen Wasserstoff­messungen. Dieses Ergebnis bringt die Wissenschaft der Lösung des Rätsels um die Größe des Protons wieder ein Stück weit näher. Erreicht wurde diese hohe Genauigkeit durch die Frequenzkamm­technik, die hier erstmalig zur Anregung von Atomen in der hochauflösenden Spektroskopie eingesetzt wurde. 

Abb.: Frequenz­kamm-Spektro­skopie: Blaues Laserlicht wird als zweite...
Abb.: Frequenz­kamm-Spektro­skopie: Blaues Laserlicht wird als zweite Harmo­nische eines gepulsten Titan:Saphir-Lasers mit Hilfe eins nicht­linearen Kristalls erzeugt. (Bild: MPQ)

Das Experiment ist der höchste Richter jeder Theorie. Die Quanten­elektrodynamik, die rela­tivistische Version der Quantenmechanik, ist bisher zweifelsohne die erfolgreichste aller Theorien. Mit ihr lassen sich extrem präzise Berechnungen durchführen, beispielsweise die Beschreibung des Spektrums von atomarem Wasserstoff auf zwölf Nach­kommastellen. Wasserstoff ist das im Universum am meisten verbreitete Element und gleichzeitig mit nur einem Elektron auch das einfachste. Dennoch birgt es ein bis dato ungelöstes Rätsel. Das Elektron im Wasserstoffatom spürt die Größe des Protons, was sich in minimalen Verschie­bungen der Energieniveaus zeigt.

Seit vielen Jahrzehnten ergaben unzählige Messungen an Wasserstoff einen konsistenten Protonen­radius. Spektro­skopische Untersuchungen am myonischen Wasserstoff, in dem das Elektron durch seinen zweihundertmal schwereren Zwilling – das Myon – ersetzt wurde, warfen jedoch ein Rätsel auf, das die Wissenschaft seither bewegt. Die Messungen wurden im Jahr 2010 in der Zusammen­arbeit mit Randolf Pohl von der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz durchgeführt. Der Wert für den Protonenradius, der aus diesen Experimenten abgeleitet werden kann, ist um vier Prozent kleiner als der aus dem gewöhnlichen Wasserstoff. Glaubt man allen Experimenten, so ergibt sich ein Widerspruch zur Theorie der Quanten­elektrodynamik, denn die Messungen im myonischen und regulären Wasserstoff müssen denselben Protonenradius liefern, wenn die Formeln der Theorie stimmen. In der Folge motivierte dieses Protonenradius-Rätsel neue Präzisions­messungen auf der ganzen Welt. Während jedoch neue Messungen aus Garching und Toronto den kleineren Protonen­radius bestätigten, stützte eine Messung aus Paris hingegen wieder den größeren Protonenradius. 

Die Wissenschaft lebt von unabhängigen Vergleichen. Deswegen wollte das Garchinger Team um Alexey Grinin, Arthur Matveev und Thomas Udem aus der Abteilung Laser­spektroskopie von Theodor Hänsch denselben Übergang wie in Paris mit einer ganz anderen und damit komple­mentären Methode vermessen. Es gelang ihnen nun mit Hilfe der Doppler-freien Zwei-Photonen Frequenzkamm-Spektroskopie, die Genauigkeit um einen Faktor vier zu verbessern. Damit war das Ergebnis für den Protonenradius doppelt so genau wie alle bis dahin durchgeführten Messungen am Wasserstoff zusammen. Zum ersten Mal wurde damit die Quantenmechanik auf der dreizehnten Nachkomma­stelle überprüft. Der auf diese Weise bestimmte Wert für den Protonen­radius bestätigt den kleineren Protonenradius und schließt dadurch einen Fehler in der Theorie als Ursache aus. Denn für den gleichen Übergang müssen die experimentellen Ergebnisse, unabhängig von der Theorie, übereinstimmen. Die neuen Messungen deuten an, dass das Problem um den Protonen­radius von experi­menteller und nicht funda­mentaler Natur ist. Die Quanten­elektrodynamik hätte damit ein weiteres Mal triumphiert. 

Der Erfolg der hier durchgeführten Frequenzkamm­spektroskopie ist auch aus einem anderen Grund ein wichtiger Meilenstein der Wissenschaft. Präzisions­spektroskopische Untersuchungen am Wasserstoff und anderen Atomen und Molekülen wurden bis jetzt fast ausschließlich mit Dauerstrich­lasern durchgeführt. Im Gegensatz dazu wird der Frequenzkamm von einem gepulsten Laser erzeugt. Mit solchen ist es möglich, zu wesentlich kürzeren Wellenlängen bis in den extremen ultra­violetten Bereich vorzudringen. Mit Dauerstrich­lasern erscheint das bislang aussichtslos. Hoch­interessante Ionen, wie das wasserstoff­artige Helium-Ion, haben in diesem Spektral­bereich ihre Übergänge, können aber bisher auch mehr als einhundert Jahre nach der Entwicklung der ersten Quantentheorie nicht präzise, also mit Laserlicht untersucht werden. Das nun vorgestellte Experiment ist ein wesentlicher Schritt, diese unbe­friedigende Situation zu ändern. Außerdem besteht die Hoffnung, mit diesen ultravioletten Frequenz­kämmen biologisch und chemisch wichtige Elemente wie Wasserstoff und Kohlenstoff direkt mit Laserlicht kühlen zu können und sie damit noch präziser untersuchen zu können.

MPQ / JOL

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