17.07.2009

Randzustände beim Quanten-Spin-Hall-Effekt beobachtet

Der nichtlokale Ladungstransport am Rand eines topologischen Isolators konnte jetzt nachgewiesen werden.

Der nichtlokale Ladungstransport am Rand eines topologischen Isolators konnte jetzt nachgewiesen werden.

Während die herkömmliche Elektronik auf der Elektronenladung aufbaut, soll die Spintronik den Elektronenspin kontrollieren und für Rechenoperationen nutzen. Dadurch eröffnen sich überraschende Möglichkeiten. So können am Rand von zweidimensionalen „topologischen“ Isolatoren Spinströme auftreten, die ohne elektrischen Widerstand fließen. Diese Ströme gehen auf elektrisch leitende Randzustände zurück, wie man sie in ähnlicher Form vom Quanten-Hall-Effekt kennt. Für die Randzustände eines topologischen Isolators ist indes kein Magnetfeld erforderlich. Forscher von der Universität Würzburg haben diese ungewöhnlichen Randzustände jetzt erstmals beobachtet.

Schon vor zwei Jahren hatte das Team um Laurens Molenkamp und Hartmut Buhmann den Quanten-Spin-Hall-Effekt (QSH-Effekt) in Halbleiterschichtstrukturen beobachtet, die zu einem topologischen Isolator gemacht werden konnten. Beim QSH-Effekt werden die Elektronen je nach ihrer Spineinstellung von einem elektrischen Feld in unterschiedliche Richtungen abgelenkt. Im genannten Experiment war dieses elektrische Feld nicht von außen angelegt worden, sondern es wurde durch die Spin-Bahn-Kopplung verursacht. Damals hatten die Forscher gezeigt, dass ihre elektrisch isolierenden Proben überraschenderweise doch eine elektrische Leitfähigkeit aufwiesen, die doppelt so groß war wie das Leitfähigkeitsquantum e2/hquer. Nach der Theorie des QSH-Effekt rührte diese Leitfähigkeit von ausgedehnten elektronischen Zuständen her, die entlang des Probenrandes verliefen. Diese Randzustände konnten die Forscher jetzt direkt nachweisen.

Abb.: Schematische Darstellung einer Halbleiterstruktur, an der die Randzustände beim Quanten-Spin-Hall-Effekt beobachtet wurden: Wenn zwischen den Kontakten 1 und 4 ein konstanter Strom floss, so war der Spannungsabfall zwischen 1 und 4 exakt dreimal so groß wie zwischen 2 und 3. (Bild: Andreas Roth et al., Univ. Würzburg/Science)

Die dazu benutzten Halbleiterstrukturen bestanden aus einer Quecksilbertelluridschicht, die von zwei Schichten aus Quecksilbercadmiumtellurid eingeschlossen war. HgTe ist ein II-VI-Halbleiter mit ungewöhnlicher Energiebandstruktur. Normalerweise stammt bei II-VI- Halbleitern das Leitungsband von den s-Orbitalen der Gruppe-II-Atome und das Valenzband von den p-Orbitalen der Gruppe-VI-Atome. Beim HgTe ist es jedoch umgekehrt. Wenn die HgTe-Schicht dicker als 6,3 nm ist, bleibt diese Inversion der Bänder erhalten. Bei den Experimenten wurden HgTe-Schichtdicken von 7,5 nm und 9 nm verwendet, sodass Bandinversion auftrat, die zu einer ungewöhnlichen Bandstruktur führte. Die Schichtstrukturen wurden auf Temperaturen unterhalb von 2 K gekühlt, damit der gesuchte Effekt nicht durch die Bewegung der Atome im Kristallgitter zerstört wird.

Die ungewöhnliche Bandstruktur der elektrisch isolierenden HgTe-Schichten führte dazu, dass durch ihre Bandlücke Energiezweige liefen, die von Randzuständen herrührten. Diese Zweige verbanden das Valenz- und das Leitungsband miteinander und schlossen so die Lücke. Auch im Energiespektrum von normalen Halbleiterstrukturen treten solche Zweige auf, allerdings stets in gerader Zahl, sodass je zwei miteinander koppeln können, wodurch die Energielücke wieder aufreißt und das Material zum Isolator macht. Bei topologischen Isolatoren wie den HgTe-Schichten tritt jedoch eine ungerade Zahl von Zweigen auf, sodass auch bei paarweiser Kopplung mindestens ein Zweig weiterhin die Bandlücke überbrücken kann. Die Energiezweige werden durch ihre topologische Struktur, die entfernt an ein Möbius-Band erinnert, stabilisiert. Die dazugehörigen ausgedehnten Randzustände leiten somit den elektrischen Strom. Diese Zustände sind jeweils für die Elektronen einer Spinrichtung „Einbahnstraßen“, sodass diese Elektronen nicht zurückgestreut werden können und sich dissipationslos bewegen.

Die Forscher haben ihre zweidimensionalen Schichtstrukturen in unterschiedlichen Formen als „H“ und „II“ hergestellt und mit vier bzw. sechs elektrischen Kontakten an den hervorstehenden Enden versehen, um die elektrische Leitfähigkeit zu messen und auf diese Weise herauszufinden, ob der elektrische Strom tatsächlich am Rand der Halbleiterstruktur fließt. Um von einem Kontakt zu anderen zu gelangen, konnte der elektrische Strom nicht durch das isolierende Innere der Schichtstrukturen laufen, sondern musste einen Umweg entlang des Randes nehmen. Bei diesem nichtlokalen Ladungstransport passierte der Strom weitere, abseits liegende Kontakte, von denen er beeinflusst wurde. Durch Messung des Stroms zwischen zwei Kontakten für eine Spannung zwischen zwei anderen Kontakten ergaben sich zahlreiche, auf den ersten Blick überraschende Strom-Spannungs-Charakteristiken. Wurden jedoch Oberflächenströme angenommen, bei denen auch die Spinrichtungen der Elektronen in Betracht gezogen wurden, konnten alle Messergebnisse zufriedenstellend erklärt werden.

Der dissipationslose Stromfluss entlang des Randes der Schichtstrukturen ließe sich ausnutzen, um die schädliche Wärmeerzeugung in Halbleiterbauelementen zu verhindern. Außerdem könnten die unterschiedlichen Spinströme, die zwischen den Kontakten der Schichtstrukturen auftreten, für eine spinabhängige Elektronik verwendet werden. Allerdings müsste man dazu die beobachteten Effekte auch bei wesentlich höheren Temperaturen reproduzieren können.

RAINER SCHARF

  

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