01.06.2006

Raumdimension quantenkritisch ausgeschaltet

Ein Pigment mit dreidimensionaler Struktur wird in der Nähe eines Quantenphasenübergangs effektiv zweidimensional.




Ein Pigment mit dreidimensionaler Struktur wird in der Nähe eines Quantenphasenübergangs effektiv zweidimensional.

Die leuchtend violette Farbe des Han-Purpurs wussten schon die Chinesen vor über 2000 Jahren zu schätzen, als sie damit die Figuren der Terracotta-Armee von Xian bemalten. Für dieses künstlich hergestellte Pigment mit der chemischen Formel BaCuSi 2O 6 interessieren sich neuerdings auch die Physiker. Der Han-Purpur zeigt in starken Magnetfeldern einen Quantenphasenübergang mit einer Bose-Einstein-Kondensation. Jetzt haben Suchitra Sebastian von der Stanford University und seine Kollegen erstmals beobachtet, dass in der Nähe des Übergangs das dreidimensionale Kondensat zweidimensional wird.

Es sind die zweifach geladenen Kupferionen Cu 2+, die dem Han-Purpur so ungewöhnliche magnetische Eigenschaften verleihen. Die Ionen, die jeweils einen Elektronenspin tragen, sind zu Paaren in einem tetragonal raumzentrierten Gitter angeordnet. In diesem Gitter sind Gitterebenen übereinander gestapelt, in denen die Ionenpaare ein Schachbrettmuster bilden. Aufeinander folgende Ebenen liegen „auf Lücke“, übernächste Ebenen liegen wieder genau übereinander. Die Spins der Ionenpaare spüren einerseits die Nachbarspins in „ihrer“ Gitterebene, andererseits die Spins der auf Lücke liegenden Nachbarebenen. Welche magnetische Ordnung sich im Kristall ausbildet, hängt nun entscheidend davon ab, wie sich die beiden Spins eines jeden Ionenpaares zueinander ausrichten.

Bei tiefen Temperaturen und ohne Magnetfeld sind die beiden Spins eines jeden Ionenpaares entgegengesetzt ausgerichtet und bilden ein Singlett (s=0). In diesem Zustand ist der Han-Purpur unmagnetisch, genauer gesagt ein Quantenparamagnet. Die drei Triplettstände (s=1), bei denen die beiden Spins in dieselbe Richtung zeigen, haben höhere Energie und sind nicht angeregt. Schaltet man aber ein Magnetfeld senkrecht zu den Kristallebenen (z-Richtung) ein, so verringert sich die Energie des Triplettzustands mit s z=1, bei dem die beiden Spins in Feldrichtung zeigen. Bei einer temperaturabhängigen Mindestfeldstärke ändert sich plötzlich der Grundzustand des Spinsystems. Er ist dann eine räumlich modulierte Überlagerung des Singlett- und des Triplettzustands.

Entscheidend ist, dass der neue Grundzustand in den Gitterebenen eine antiferromagnetische Ordnung aufweist, die mit der schachbrettförmigen Anordnung der Ionenpaare in den Gitterebenen verträglich ist. Die Wechselwirkung zwischen den benachbarten Gitterebenen macht dieser antiferromagnetischen Ordnung allerdings das Leben schwer. Es kommt zu einer geometrischen Frustration, bei der die Spinanordnung einander widersprechenden Anforderungen ausgesetzt ist. Das führt zu einem komplizierten Quantenzustand, in dem jedes Ionenpaar sich sowohl im Singlett- als auch im Triplettzustand befinden kann.

Um das besser zu verstehen, denkt man sich die Spinzustände der Ionenpaare durch fiktive Bosonen ersetzt, die sich auf dem Kristallgitter bewegen. Wo ein Zustand mit s z=1 ist, befindet sich demnach ein Boson. Mehr als ein Boson kann sich aber auf einem Gitterplatz nicht aufhalten. Die Bosonen stoßen sich also heftig ab. Wo ein Zustand mit s=0 ist, befindet sich kein Boson. Der Wechselwirkung zwischen den Spins entspricht die Bewegung der Bosonen auf dem Gitter. Es stellt sich heraus, dass der komplizierte Quantenzustand der Spins einem Bose-Einstein-Kondensat der fiktiven Bosonen entspricht. Dieses Kondensat bildet sich aber nur bei einer temperaturabhängigen magnetischen Feldstärken oberhalb von 23 Tesla, wie Messungen von Sebastian und seinen Kollegen am National High Magnetic Field Laboratory in Tallahassee gezeigt haben.

Für schwächere Magnetfelder findet man kein Kondensat und die Spins bilden den schon erwähnten Quantenparamagneten. Kühlt man den Han-Purpur fast auf den absoluten Temperaturnullpunkt ab und erhöht langsam die Feldstärke, so kommt es beim kritischen Magnetfeld H c = 23 T zur Bose-Einstein-Kondensation. Dieser Phasenübergang wird nicht von thermischen Schwankungen begleitet sondern von quantenmechanischen. Es handelt sich also um einen Quantenphasenübergang. Für Temperaturen von einigen Kelvin spielen indes auch thermische Fluktuationen eine Rolle und es ist ein stärkeres Magnetfeld nötig, um das Bose-Einstein-Kondensat entstehen zu lassen.

Oberhalb von 1 Kelvin ist das Kondensat dreidimensional, wie man es für einen dreidimensionalen Kristall erwartet. Theoretischen Berechnungen zufolge besteht ein dimensionsabhängiger Zusammenhang zwischen der Temperatur T und dem Magnetfeld H, bei denen sich das Kondensat bildet: T ~ (H–H c) 2/d. Sebastian und seine Kollegen haben diesen Zusammenhang nun experimentell überprüft. Für Temperaturen oberhalb von 1 Kelvin finden sie für den Exponenten einen Wert von ungefähr 2/3, was auf d=3 hinweist. Für tiefere Temperaturen, also hinreichend nahe am Quantenphasenübergang, nimmt der Exponent indes den Wert 1 an. Das Bose-Einstein-Kondensat ist zweidimensional geworden! Die geometrische Frustration der Spins hat dazu geführt, dass die auf unterschiedlichen Gitterebenen sitzenden Spins voneinander „entkoppeln“. Das Kondensat kann sich dann nur noch längs der Gitterebenen bewegen und nicht mehr von einer Ebene zur anderen. Die Dimensionalität des Kondensats ist damit zu einer „emergenten“ Eigenschaft des zugrunde liegenden Quantenphasenübergangs geworden.

Rainer Scharf

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