Rechnen mit Molekülen
Großer Schritt in Richtung einer neuen Computerarchitektur.
Schnellere Datenverarbeitung, weniger Stromverbrauch und höhere Integrationsdichten – die Spintronik hätte im Vergleich zur herkömmlichen Mikroelektronik zahlreiche Vorteile. Hierbei wird nicht nur die elektrische Ladung der Elektronen genutzt, um Informationen zu transportieren, zu speichern und zu verarbeiten, sondern auch ihr Spin. Das ermöglicht darüber hinaus nichtflüchtige Datenspeicher: Daten bleiben auch dann erhalten, wenn ein Rechner nicht mit Strom versorgt wird. Das Forschungsfeld der molekularen Spintronik versucht Datenspeicher, durch die Kontrolle des Spins in einzelnen Molekülen weiter zu verkleinern. Die Informationsverarbeitung erfolgt darüber, dass Moleküle zwischen zwei verschiedenen Spinzuständen hin- und her geschaltet werden können. Einem internationalen Forschungsteam ist es jetzt gelungen, einzelne Moleküle mit stabil schaltbaren Spin-Zuständen zu bauen und auf einer Oberfläche anzubringen. Konventionelle organische Moleküle verlieren auf Oberflächen normalerweise ihre Funktionalität.
Moleküle sind die kleinsten, stabilen Einheiten, die man mit atomarer Präzision und genau definierten Eigenschaften herstellen kann. Außerdem lassen sich Billionen von exakt gleichen molekularen Bauteilen synthetisieren. Ihre Reaktion auf elektrische oder optische Anregung und die maßgeschneiderte chemische und physikalische Funktionalität machen sie zu einzigartigen Kandidaten für die Spintronik, um neue Klassen von elektronischen Bauteilen zu realisieren. „Mit unserem neuen Spinschalter haben wir in einem Molekül erreicht, wozu man in der herkömmlichen Elektronik mehrere Komponenten wie Transistoren und Widerstände braucht. Das ist ein großer Schritt hin zu einer weiteren Miniaturisierung“, erklären Manuel Gruber und Rainer Herges von der Uni Kiel.
Die molekularen Spinschalter zeigen auch als Einzelmoleküle Spinzustände, die für mehrere Tage stabil sind. „Wir haben dafür einen Trick genutzt, der den grundlegenden und kleinsten Schalteinheiten im Computer gleicht. In diesen Flip-Flops ist das Ausgangsignal zurück gekoppelt zum Eingang um zwei verschiedene Schaltzustände – 0 und 1 – zu realisieren“, erklärt Manuel Gruber von der Uni Kiel. Die neu entwickelten Moleküle besitzen drei Eigenschaften, die jeweils in solchen Schaltungen miteinander gekoppelt sind und zwischen zwei Zuständen wechseln können: ihre Geometrie (flach oder gebogen), die Koordination mit weiteren Atomen (koordiniert oder nicht-koordiniert) und ihr Spinzustand (hoch oder niedrig). Nur zwei Kombinationen der drei Eigenschaften sind stabil und verstärken sich gegenseitig.
Mit einem Stromstoß lässt sich zwischen den beiden Zuständen der Moleküle hin- und herschalten. Dazu wurden die Moleküle durch Verdampfen auf einer Metalloberfläche angebracht, wo sie sich selbstständig in einer regelmäßigen, geordneten Schicht nebeneinander anordneten. In dieser Anordnung lässt sich mit der atomar feinen Metallspitze eines ultrahoch auflösenden Rastertunnelmikroskops jedem einzelnen Molekül ein extrem kleinen Stromstoß versetzen. Indem entweder eine positive oder eine negative Spannung angelegt wird, lässt sich zwischen beiden Zuständen schalten. In einem nächsten Schritt wollen die Wissenschaftler diese molekularen Spinschalter miteinander zu komplizierteren, elektronischen Schaltungen verknüpfen, um einfache Computeroperationen durchführen zu können.
CAU / RK
Weitere Infos
- Originalveröffentlichung:
A. Köbke et al.: Reversible coordination-induced spin-state switching in complexes on metal surfaces, Nat. Nanotech., online 23. Dezember 2019; DOI: 10.1038/s41565-019-0594-8 - AG Herges, Otto-Diels-Institut für organische Chemie, Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel