26.07.2023

Rechnen mit tanzenden Magnonen

Basis für neuromorphe Computer, die sehr schnell Muster in Datensätzen erkennen könnten.

Neuromorphe Computer rechnen nicht mit Nullen und Einsen. Sie nutzen stattdessen physikalische Phänomene, um rasend schnell und äußerst energie­effizient Muster in großen Datenströmen zu erkennen. Mit ihrem Projekt Nimfeia haben Katrin und Helmut Schultheiß gemeinsam mit ihrem Team vom Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossen­dorf diese Technologie jetzt einen großen Schritt voran­gebracht. So konnten sie zeigen, dass sich ihr Ansatz nahtlos in herkömmliche Chip-Fabriken inte­grieren lässt.

Abb.: Elektro­magnetische Felder regen Schwingungen in einem magnetischen...
Abb.: Elektro­magnetische Felder regen Schwingungen in einem magnetischen Vortex an. (Bild: H. Schultheiß, HZDR)

„In vielen Bereichen der Automatisierung vom autonomen Fahren über das Internet der Dinge bis zum Edge Computing kämpft die Industrie mit schnellen Daten­signalen“, erklärt Helmut Schultheiß, Leiter der Emmy Noether-Gruppe Magnonik. „Denn viele Sensoren liefern kleine Datenpakete mit hoher Geschwindigkeit. Darin Muster zu erkennen ist für momentane Computer­architekturen sehr energie­aufwendig.“ Deshalb setzen Katrin und Helmut Schultheiß mit ihrem Team auf Spinwellen, auch Magnonen genannt. Die Idee, damit eine neue Daten­verarbeitungs­technologie zu schaffen, ist schon ein wenig älter. Doch Schultheiß und Team haben mit ihrer Arbeit ein Problem gelöst, das die praktische Umsetzung behinderte.

„Alle bisherigen Konzepte setzen darauf, dass sich Spinwellen von A nach B ausbreiten müssen, um mit ihnen zu arbeiten“, erklärt Schulheiß. „Doch es gibt keine wirklich brauchbaren Materialien dafür.“ Deshalb sind die Forschenden einen anderen Weg gegangen. Sie haben den gesamten Prozess in eine nur wenige Mikrometer dicke, magnetische Scheibe gepresst und versetzen diese in Schwingungen. Nun schwingt der ganze Körper, und zwar mit verschiedenen Frequenzen gleichzeitig. „Das kann man sich mit einer Trommel veran­schaulichen“, erklärt Schultheiß. „Streut man Sand auf eine Trommel und schlägt sie rhythmisch, dann entstehen wunderschöne Muster.“ Diese stehenden Wellen existieren im kompletten Raum.

Das Klopfen der Trommel entspricht dabei der Dateneingabe, die zum Beispiel von einem Sensor kommen kann. Sie verursacht ein Wechsel­spiel von verschiedenen Schwingungen und sich daraus ergebender nicht linearer Prozesse. „Dabei konnten wir zeigen, dass bei unter­schiedlichen Eingabemustern immer eindeutige Schwingungs­muster entstehen“, sagt Schultheiß. „Und dieser Prozess ist zeitsensitiv. Ändern wir also die Reihenfolge der Eingangs­signale, dann ändern sich auch die Muster.“ Für die Auswertung von Daten in Echtzeit ist das eine Voraussetzung.

Damit es die Technologie vom Labor auf den Markt schafft, bedarf es aber noch einer weiteren Voraus­setzung, ist sich Helmut Schultheiß sicher. Sein Verfahren muss sich auf den herkömmlichen CMOS-Fertigungs­linien der Chipindustrie verarbeiten lassen. Das haben ihn nicht zuletzt die Erfahrungen mit den Industriepartnern GlobalFoundries und Infineon im von der EU geförderten Projekt Nimfeia gelehrt. „Selbst wenn wir nach neuen Techno­logien suchen, wird die CMOS-Technologie unseren Wohlstand auch über die nächsten Jahrzehnte sichern“, sagt er. Für die Chipfabriken, in denen dieser Wohlstand heute geschaffen wird, sind gigantische Investitionen notwendig. „Das Gute an unserer Techno­logie ist, dass nichts umgerüstet werden muss“, freut sich Schultheiß.

Herkömmliche Computer wollen die Forschenden mit ihrer neuen Technologie aber nicht ersetzen. Sie denken stattdessen an einer sinnvollen Ergänzung. „Wenn es um komplexe mathe­matische Berechnungen geht, ist das boolesche Rechnen immer noch führend“, sagt Helmut Schulheiß. „Für arithmetische Aufgaben wird es in den nächsten einhundert Jahren wohl nichts Besseres geben. Doch die aktuellen Computerarchitekturen haben ein großes Problem darin, Muster zu erkennen und Komplexität zu erfassen.“ Eine Anwendung könnte er sich beispiels­weise in der Verkehrs­optimierung vorstellen. Denn neuromorphe Computer könnten den schieren Berg an Daten nach Mustern durchsuchen und einen Stau vorhersagen, bevor das erste Auto überhaupt stehen geblieben ist. „Das ist eine hochkomplexe Angelegenheit, bei der sich konven­tionelle Computer­architekturen wie unsere PCs enorm schwertun. Sie brauchen viele Rechenschritte. Für neuromorphes Rechnen, für Reservoir Computer und für künstliche Intelli­genzen hingegen ist es das ideale Einsatzfeld.“

Weil die neuartigen Techno­logien nicht nur sehr klein, sondern auch äußerst energie­effizient sind, könnten sie direkt an den Sensoren arbeiten. Dieses Edge Computing hilft überall dort, wo die Übertragung großer Datenmengen schwierig oder teuer ist. Im Weltraum zum Beispiel. Anstatt alle Messdaten eines Erdbeobachtungs­satelliten zur Bodenstation zu senden, könnten diese vor Ort verarbeitet werden. Das spart Bandbreite und Energie. Oder in der Medizin. Ein neuromorpher Rechner direkt im Herzschritt­macher integriert, kann aus den Signalen vor Ort die Muster erkennen, die auf Herzrhythmus­störungen oder Kammer­flimmern hinweisen.

„Auch die intelligente Wartung könnte vom Edge Computing mit neuro­morphen Prozessen stark profitieren“, sagt Schultheiß. „Bei Windrädern könnten sie zum Beispiel in den Antriebs­wellen nach Schwingungs­mustern suchen, die auf einen Lagerschaden hinweisen. Dadurch wäre die Wartung möglich, bevor das Lager überhaupt ausfällt. Das spart Geld, Energie und Ressourcen.“

HZDR / JOL

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