Reine Töne enthüllen das Innere von Neutronensternen
Gravitationswellen erlauben Rückschlüsse auf die Zustandsgleichung der Neutronenstern-Materie.
Neutronensterne gehören aufgrund ihrer hohen Dichte zu den faszinierendsten astrophysikalischen Objekten. Doch aufgrund der extremen Bedingungen in ihrem Inneren sind ihre Zusammensetzung und Struktur weitgehend unbekannt. Die Kollision zweier Neutronensterne bietet eine einzigartige Gelegenheit, diese Rätsel zu entschlüsseln. Während sich Neutronensterne in Binärsystemen über Millionen von Jahren spiralförmig annähern, senden sie Gravitationswellen aus. Die intensivste Strahlung tritt aber erst während und in den ersten Millisekunden nach ihrer Verschmelzung auf. Das dabei entstehende Objekt – ein massereiches, schnell rotierendes Gebilde – verursacht Gravitationswellen in einem starken, aber schmalen Frequenzbereich. Dieses Signal enthält entscheidende Informationen über die Zustandsgleichung der Kernmaterie, die beschreibt, wie sich Materie bei extremer Dichte und Druck verhält.

Die Forschungsgruppe von Luciano Rezzolla an der Uni Frankfurt hat jetzt entdeckt, dass die Amplitude des Gravitationswellensignals nach der Verschmelzung zwar mit der Zeit abnimmt, es aber gleichzeitig immer reiner wird – das heißt, es tendiert immer stärker zu einer einzigen Frequenz, ähnlich wie eine riesige Stimmgabel, die nach einem Schlag nachklingt. Diese Phase haben die Wissenschaftler als „langes Abklingen“ bezeichnet und eine enge Verbindung zwischen ihren Eigenschaften und den dichtesten Regionen in den Kernen von Neutronensternen identifiziert.
„Genauso wie Stimmgabeln aus verschiedenen Materialien unterschiedliche Töne erzeugen, klingen auch Überreste von Kollisionen, die durch verschiedene Zustandsgleichungen beschrieben werden, bei unterschiedlichen Frequenzen ab. Die Entdeckung dieses Signals hat das Potenzial die inneren Bestandteile von Neutronensternen zu enthüllen“, erklärt Rezzolla.
Mithilfe von Simulationen, die die Gesetze der Allgemeinen Relativitätstheorie berücksichtigen, konnten die Forscher zeigen, dass die Analyse des langen Abklingens hilft, Unsicherheiten bei der Beschreibung von Materie unter extrem hohen Dichten zu verringern – einem Bereich, für den es bislang keine direkten Messungen gibt.
„Dank Fortschritten in der statistischen Modellierung und hochpräzisen Simulationen auf Deutschlands leistungsfähigsten Supercomputern haben wir eine neue Phase des langen Abklingens in Neutronenstern-Kollisionen entdeckt“, erklärt Team-Mitglied Christian Ecker. „Diese Entdeckung hat das Potenzial, neue und präzise Einschränkungen für den Zustand der Materie in Neutronensternen zu liefern. Sie ebnet den Weg für ein besseres Verständnis dichter Neutronensternmaterie, insbesondere, wenn zukünftig neue Ereignisse beobachtet werden.“
Indem die Forscher gezielt einige wenige Zustandsgleichungen ausgewählt haben, konnten sie die Vielfalt möglicher Materiemodelle mit deutlich weniger Aufwand nachbilden. Das spart nicht nur Rechenzeit und Energie, sondern gibt den Wissenschaftlern auch die Sicherheit, dass ihre Ergebnisse zuverlässig sind und unabhängig davon gelten, welche Zustandsgleichung in der Natur tatsächlich vorkommt.
Obwohl Gravitationswellendetektoren das Signal nach der Verschmelzung aktuell noch nicht gemessen haben, sind die Wissenschaftler optimistisch. Mit dem in Europa geplanten Einstein-Teleskop, das in den nächsten zehn Jahren in Betrieb gehen soll, könnte das lange Abklingen klar gemessen werden. Sobald das geschieht, wird es ein leistungsstarkes Werkzeug sein, um die rätselhaften inneren Strukturen von Neutronensternen zu erforschen und die Geheimnisse der Materie unter extremen Bedingungen zu entschlüsseln.
GUF / RK