27.09.2010

Relativistische Zeitdehnung auf dem Küchentisch

Zwei extrem genaue optische Atomuhren messen die Zeitdilatation unter Alltagsbedingungen.

Zwei extrem genaue optische Atomuhren messen die Zeitdilatation unter Alltagsbedingungen.

Optische Atomuhren sind inzwischen zehnmal genauer als die mit Mikrowellen arbeitenden Cäsium-Fontänenuhren: Ihre Genauigkeit liegt bei einer Sekunde in mehreren Milliarden Jahren. Zeitmessungen mit so großer Präzision machen es möglich, sogar unter Alltagsbedingungen auftretende relativistische Effekte nachzuweisen, die man normalerweise in der Physik vernachlässigt. Jetzt haben Forscher vom NIST in Boulder mit zwei optischen Atomuhren die relativistische Zeitdilatation gemessen, wie sie beim Radfahren oder beim Hinsetzen auftritt.

Abb.: Die Atomuhr mit bewegtem Ion tickt langsamer. (Bild: C. W. Chou et al., Science)

Einsteins Relativitätstheorie zufolge geht eine bewegte Uhr langsamer als eine ruhende, und eine Uhr im Schwerefeld der Erde geht umso schneller, je höher ihre Position ist. Beide Effekte müssen beim GPS berücksichtigt werden, und beide wurden auch schon mit großer Präzision gemessen. Allerdings betrugen bei den genauesten Messungen die Relativgeschwindigkeiten einige Prozent der Lichtgeschwindigkeit und die Höhenunterschiede 10 bis 10000 km. Chin-Wen Chou und seine Kollegen haben jetzt die Zeitdehnung für Geschwindigkeiten von 10 m/s und Höhenunterschiede von 33 cm bestimmt.

Die Forscher verwendeten zwei im Wesentlichen baugleiche Atomuhren, die einen sehr scharfen optischen Übergang (1S03P0) des einfach geladenen Aluminiumions nutzten. Dieser Uhrenübergang hatte eine Frequenz von etwa 1,121 PHz (1015 Hz) und eine natürliche Linienbreite von 8 mHz. Die Uhren hielten jeweils in einer Paul-Falle ein einzelnes Al-Ion fest, dem ein Beryllium- bzw. Magnesiumion beigegeben war. Diese „Hilfsionen“ waren nötig, da das Al-Ion keine geeigneten optischen Übergänge zur Laserkühlung und zur Abfrage seines Zustands besaß. Das lasergekühlte Be- bzw. Mg-Ion kühlte wiederum das Al-Ion und ermöglichte zugleich eine Überwachung seines Anregungszustands.

Um die Atomuhren zum Ticken zu bringen, gingen die Forscher folgendermaßen vor. Sie stimmten einen gepulsten Laser mit einer Linienbreite von unter 1 Hz auf den Uhrenübergang ab, indem sie für die 300 ms langen Laserpulse die Anregungswahrscheinlichkeit des Al-Ions ermittelten. Hatte ein Puls das Al-Ion nicht angeregt, so konnte man mit einem weiteren Laser das Al-Ion und das Hilfsion in einen gemeinsamen Oszillatorzustand bringen, was dazu führte, dass das Hilfsion in einen dunklen, nicht zum Leuchten anregbaren Zustand überging. War das Al-Ion hingegen angeregt worden, so gab es keine Oszillationen und das Hilfsion konnte leuchten.

An der Häufigkeit, mit der das Hilfsion aufleuchtete, konnte man somit die Anregungswahrscheinlichkeit ablesen. War sie maximal, so hatte der Laser die Uhrenfrequenz getroffen, die dann mit Hilfe eines Frequenzkamms ausgezählt wurde. Die beiden Uhren befanden sich in unterschiedlichen Laborräumen und waren über eine 75 m lange optische Faser verbunden, die es gestattete, die Frequenzen der Uhren direkt miteinander zu vergleichen.

Im ersten Experiment wurde das Al-Ion der einen Uhr durch ein elektrisches Feld zu harmonischen Schwingungen in der Paul-Falle angeregt, während das andere Al-Ion in Ruhe blieb. Da das schwingende Ion periodisch zu seinem Ausgangspunkt zurückkehrte, erging es ihm wie dem reisenden Zwilling im Zwillingsparadoxon, der bei seiner Rückkehr zur Erde feststellt, dass für ihn die Zeit langsamer vergangen ist als für den auf der Erde zurückgebliebenen Zwilling. Hatte das Ion eine mittlere Geschwindigkeit von 10 m/s, so betrug die relative Abnahme der Uhrenfrequenz 7×10-15, d. h. pro Sekunde fehlten ca. 8 Schwingungen.

Im zweiten Experiment blieben beide Al-Ionen in Ruhe. Die Forscher verglichen die Uhrenfrequenzen, wobei sie die Uhren zunächst auf ihren ursprünglichen Positionen beließen, die eine Höhendifferenz von 17 cm hatten. Dann hoben sie die tiefer liegende Uhr um 33 cm an und verglichen die Frequenzen erneut. Es zeigte sich, dass sich die Frequenz der angehobenen Uhr erhöht hatte, wobei die relative Änderung 4×10-17 betrug. Die Messergebnisse beider Experimente stimmten hervorragend mit den Vorhersagen der Relativitätstheorie überein.

Die Forscher hoffen, ihre optischen Atomuhren soweit verbessern zu können, dass sich mit ihnen durch Frequenzvergleich noch Höhenunterschiede von 1 cm messen lassen. Solch supergenaue Atomuhren, mit optischen Fasern zu weiträumigen Überwachungsnetzen zusammengeschlossen, wären z. B. für die Erdvermessung interessant. Schon jetzt können optische Frequenzen durch Glasfasern über Entfernungen von 250 km mit einem Fehler von nur 10-18 übertragen werden, und auch eine getreue Übertragung über kontinentale Distanzen scheint möglich. Bei der Überbrückung interkontinentaler Entfernungen mit Satelliten steht man aber wegen des störenden Einflusses der Erdatmosphäre noch vor ungelösten Problemen.

RAINER SCHARF

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