Reversible Hüpfer
Springende Tropfen auf Silikonöl lassen sich in ihrer Trajektorie auch bei chaotischen Bahnen umkehren.
Wellen besitzen gegenüber Teilchen einen entscheidenden Vorteil bei ihrer Ausbreitung: Sie speichern Informationen über ihre Vergangenheit. Dadurch behalten Wellen sogar in Systemen mit chaotischer Dynamik die Möglichkeit der zeitlichen Umkehrbarkeit. Teilchen hingegen verlieren bei entsprechenden Rahmenbedingungen, die zu chaotischer Dynamik führen, sehr schnell diese Fähigkeit. So lässt sich etwa auf einem perfekten (löcherfreien) Billardtisch der Weg einer Kugel im Prinzip bis zu ihrem Start zurückverfolgen. Führt man jedoch ein Chaos erzeugendes Element wie etwa runde Ecken ein, so geht diese Reversibilität verloren. Winzige Änderungen in den Anfangsbedingungen führen dann schnell zu völlig unvorhersehbaren Trajektorien.
Abb.: Das Wellenfeld bei der Vorwärtsbewegung (a, blauer Pfeil) des Tropfens und bei der Rückwärtsbewegung (b, roter Pfeil). Die Trajektorien liegen fast exakt übereinander. (Bild: S. Perrard et al.)
Ein Team französischer Forscher um Emmanuel Fort von der ESPCI ParisTech hat sich nun allerdings die Frage gestellt, was passiert, wenn man die Dynamik von Teilchen und Welle koppelt. Was zunächst ein wenig nach der alten Pilotwellentheorie von Louis-Victor de Broglie klingt, hat allerdings nichts mit Quantenphysik zu tun, sondern mit springenden Tropfen aus Silikonöl auf einem Bad aus derselben Substanz.
Der Trick bestand zunächst darin, das Silikonbad hinreichend stark durch externe Anregung vibrieren zu lassen, so dass ein Silikontropfen darauf zu hüpfen begann, ohne gleich mit dem Bad zu verschmelzen. Die Forscher brachten das Silikonbad mit einer Frequenz von 80 Hertz zum Schwingen. Darauf hüpfte ein etwa 600 Mikrometer durchmessender Silikontropfen mit der halben Anregungsfrequenz. Die Region, in der der Tropfen herumhüpfen konnte, begrenzten die Wissenschaftler mit Hilfe von Magnetfeldern: Dem Tropfen fügten sie eine kleine Menge eines Ferrofluids zu und legten ein achsensymmetrisches Magnetfeld an.
Bei jedem Kontakt mit dem Bad erzeugte der Tropfen eine neue Welle – eine lokalisierte Mode einer Faraday-Welle mit einer Wellenlänge von 4,75 Millimetern, die sich durch eine kreisförmige Bessel-Funktion darstellen ließ. Das Interferenzmuster im Silikonbad enthielt folglich Informationen über die gesamte zurückgelegte Strecke. Je nach Anfangsbedingungen folgte der Tropfen unterschiedlichen Trajektorien – entweder einer Kreisbahn, einer Lemniskate (Schleifenbahn in Form einer Acht) oder komplexeren, chaotischen Bahnen. Informationstheoretisch gesprochen hieß das: Der hüpfende Tropfen auf dem Bad konnte Informationen schreiben und speichern.
Die Forscher konnten nun die Bewegung des Tropfens auch umkehren. Hierzu verpassten sie ihm bei genau einer Schwingung einen etwas stärkeren Stoß über die externe Anregung, so dass er etwas länger in der Luft blieb und genau um eine halbe Wellenlänge versetzt wieder aufkam. Durch diese Phasenverschiebung drehte sich die Bewegung des Tropfens um und er hüpfte auf der Trajektorie wieder zurück, die er gekommen war.
Video: Ein Tropfen aus Silikonöl hüpft auf einer Oberfläche aus demselben Material, angetrieben durch Schwingungen und seine eigenen Wellen. Video aus einem früheren Experiment in zwanzigfacher Zeitlupe. (Video: D. M. Harris et al., APS)
Dieses erstaunliche Verhalten ist möglich, weil im Wellenfeld des Silikonbads die Information über die bisherige Trajektorie gespeichert war. Interessanterweise löschten die nun entstehenden Wellen die vorherige Information wieder aus, so dass das System wieder Richtung Ausgangszustand „zurückhüpfte”. Der Tropfen las also die Information aus dem Wellenfeld aus und löschte sie.
Damit kann das Silikon-System Informationen schreiben, speichern, lesen und wieder löschen. Im Prinzip entspricht diese Anordnung einer universellen Turing-Maschine „aus einem Guss”, bei der der Speicher und die verarbeitende Einheit nicht getrennt sind. Das wäre eine sehr pfiffige neue Weise, Datenverarbeitung zu betreiben und könnte neue Arten von Rechenmaschinen inspirieren.
Die Forscher sehen die Realisierung über hüpfende Silikon-Tropfen in dieser Hinsicht aber nur begrenzt als zukunftsträchtig an: Zu groß sind die Unwägbarkeiten, die sich durch minimale Fehlerquellen und durch die Dämpfung in der Fluiddynamik einschleichen können und die dadurch die Menge an speicherbaren Informationen doch stark begrenzen. Sehr viel mehr als einige Dutzend Hüpfer werden schwer zu realisieren sein. Aber andere Systeme könnten sich hier als robuster erweisen. Auch die französischen Forscher haben ihr System noch nicht zur Datenverarbeitung genutzt, halten es aber in Zukunft für möglich.
Bis dahin müssten aber noch einige Fragen geklärt werden. So ist noch nicht klar, wie genau Informationen zu kodieren sind, über welche Anfangsbedingungen sich diese einstellen lassen und wie groß die Informationsmenge ist, die sich halbwegs sicher speichern und wieder abrufen lässt. Dennoch stellen die hüpfenden Silikontropfen eine überraschende Möglichkeit dar, solche Fragen zu implementieren.
Dirk Eidemüller
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