05.12.2019

Riesenplanet tanzt um sterbenden Stern

Entdeckung eröffnet ein neues Fenster zum endgültigen Schicksal von Planetensystemen.

Erstmals haben Wissen­schaftler mit dem Very Large Telescope der Euro­päischen Südsternwarte Eso Beweise für einen riesigen Planeten gefunden, der in Verbindung mit einem Weißen Zwergstern steht. Der Planet umkreist den heißen Weißen Zwerg, den Überrest eines sonnen­ähnlichen Sterns, in geringer Entfernung, wodurch seine Atmo­sphäre abgetragen wird und eine Gasscheibe um den Stern bildet. Dieses einzig­artige System deutet darauf hin, wie unser eigenes Sonnensystem in ferner Zukunft aussehen könnte.

Abb.: Illustra­tion des Weißen Zwergs WDJ0914+1914 und seiner...
Abb.: Illustra­tion des Weißen Zwergs WDJ0914+1914 und seiner Neptun-ähnlichen Exo­planeten. (Bild: M. Korn­messer, ESO)

„Es war eine dieser zufälligen Ent­deckungen“, sagt Boris Gänsicke von der University of Warwick in Großbritannien, der die Studie leitete. Die Forschungsgruppe hatte etwa 7000 Weiße Zwerge inspiziert, die im Rahmen des Sloan Digital Sky Survey beobachtet wurden. Sie fanden heraus, dass einer davon einzigartig ist. Durch die Analyse der geringen Schwankungen des Sternlichts fanden sie Spuren von chemischen Elementen in Mengen, die Wissen­schaftler noch nie zuvor bei einem Weißen Zwerg beobachtet hatten. „Wir wussten, dass in diesem System etwas Außer­gewöhnliches vor sich gehen musste, und spekulierten, dass es sich um eine Art planetarischen Überrest handeln könnte.“

Um eine bessere Vorstellung von den Eigen­schaften dieses ungewöhnlichen Sterns mit dem Namen WDJ0914+1914 zu bekommen, analysierte das Team ihn mit dem X-Shooter-Instrument des Very Large Telescope in der chilenischen Atacama-Wüste. Diese Folge­beobachtungen bestätigten die Anwesenheit von Wasserstoff, Sauerstoff und Schwefel nahe des Weißen Zwerges. Bei der Analyse der Details in den Spektren entdeckte die Wissen­schaftler, dass sich diese Elemente in einer Scheibe aus Gas befinden, die auf den Weißen Zwerg einfällt und nicht vom Stern selbst kommt. „Es dauerte einige Wochen, bis wir herausfanden, dass der einzige Weg, eine solche Scheibe zu erzeugen, das Verdampfen eines riesigen Planeten ist“, sagte Matthias Schreiber von der Universität Valparaiso in Chile, der die vergangene und zukünftige Entwicklung dieses Systems berechnete.

Die nachge­wiesenen Mengen an Wasser­stoff, Sauerstoff und Schwefel ähneln denen in den tiefen atmosphärischen Schichten von eisigen, riesigen Planeten wie Neptun und Uranus. Befände sich die Bahn eines solchen Planeten in der Nähe eines heißen Weißen Zwerges, würde die extreme ultraviolette Strahlung des Sterns seine äußeren Schichten abstreifen. Ein Teil dieses abge­tragenen Gases würde sich zu einer Scheibe verwirbeln, die ihrerseits auf den Weißen Zwerg fällt. Das ist es, was Wissenschaftler um WDJ0914+1914 herum sehen: der erste verdampfende Planet, der einen Weißen Zwerg umkreist.

Durch die Kombination von Beobachtungs­daten mit theoretischen Modellen konnte die Gruppe von Astronomen aus Groß­britannien, Chile und Deutschland ein klareres Bild von diesem einzigartigen System zeichnen. Der Weiße Zwerg ist klein und mit 28 000 Grad Celsius extrem heiß. Im Gegensatz dazu ist der Planet eisig und groß – mindestens doppelt so groß wie der Stern. Da er den heißen Weißen Zwerg aus nächster Nähe umkreist und ihn in nur zehn Tagen umrundet, blasen die hoch­energetischen Photonen des Sterns allmählich die Atmosphäre des Planeten davon. Der größte Teil des Gases entweicht, aber ein Teil wird in eine Scheibe gezogen, die mit einer Rate von 3000 Tonnen pro Sekunde in den Stern strömt. Es ist diese Scheibe, die den sonst verborgenen neptun­ähnlichen Planeten sichtbar macht.

„Das ist das erste Mal, dass wir die Mengen an Gasen wie Sauerstoff und Schwefel in der Scheibe messen können, was Hinweise auf die Zusammen­setzung von Exo­planeten-Atmosphären gibt“, sagt Odette Toloza von der Universität Warwick, die ein Modell für die Gasscheibe um den Weißen Zwerg herum entwickelte. „Die Entdeckung eröffnet auch ein neues Fenster zum endgültigen Schicksal der Planeten­systeme“, ergänzt Gänsicke.

Sterne wie unsere Sonne verbrennen den größten Teil ihres Lebens lang Wasserstoff in ihren Kernen. Sobald ihnen dieser Treibstoff ausgeht, blähen sie sich zu Roten Riesen auf, werden hundertmal größer und verschlingen nahegelegene Planeten. Im Falle des Sonnensystems gehören dazu Merkur, Venus und sogar die Erde, die alle von der Rote-Riesen-Sonne in etwa fünf Milliarden Jahren verschlungen werden. Schließlich verlieren sonnen­ähnliche Sterne ihre äußeren Schichten und hinterlassen nur noch einen ausgebrannten Kern, einen Weißen Zwerg. Solche stellaren Überreste können noch Planeten beherbergen, und man vermutet, dass viele dieser Sternen­systeme in unserer Galaxie existieren. Bislang hatten Wissenschaftler jedoch noch nie Beweise für einen über­lebenden Riesenplaneten um einen Weißen Zwerg gefunden. Der Nachweis eines Exoplaneten im Orbit um WDJ0914+1914, der sich etwa 1500 Lichtjahre entfernt im Sternbild Krebs befindet, könnte der erste von vielen solcher Sterne sein.

Nach Angaben der Forscher umkreist der Exoplanet, der nun mit Hilfe des X-Shooters gefunden wurde, den Weißen Zwerg in einer Entfernung von nur zehn Millionen Kilometern oder dem 15-fachen Sonnenradius. Der Planet hätte sich daher inmitten des Roten Riesen befinden müssen. Die unge­wöhnliche Position des Planeten legt nahe, dass sich der Planet irgendwann, nachdem der Wirtsstern zu einem Weißen Zwerg geworden ist, näher an ihn heran­gearbeitet hat. Die Astronomen sind der Ansicht, dass diese neue Umlaufbahn das Ergebnis von gravitativen Wechselwirkungen mit anderen Planeten im System sein könnte, was bedeutet, dass mehr als ein Planet den gewaltsamen Übergang seines Wirtssterns überlebt haben könnte.

„Bis vor kurzem dachten nur sehr wenige Astronomen über das Schicksal von Planeten nach, die sterbende Sterne umkreisen. Diese Entdeckung eines Planeten, der sich um einen ausge­brannten Sternenkern dreht, zeigt eindrucks­voll, dass das Universum unseren Geist immer wieder herausfordert, über unsere etablierten Ideen hinaus­zugehen“, schließt Gänsicke.

MPIA / ESO / JOL

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