Riesenstern mit dicker Staubscheibe
3D-Bildtechnik enthüllt das Geschwindigkeitsfeld einer alten Sonne – und einen unsichtbaren Begleiter.
3D-Bildtechnik enthüllt das Geschwindigkeitsfeld einer alten Sonne – und einen unsichtbaren Begleiter.
Ein Überriese steht am Abgrund des Todes – und verhält sich wie ein Junger. Zumindest ist der alte Stern von einer Staubscheibe umgeben, wie man sie sonst nur bei einem neugeborenen erwarten würde. Warum? Ein Team um Florentin Millour vom Observatoire de la Côte d'Azur und Anthony Meilland vom Max-Planck-Institut für Radioastronomie hat jetzt ein detailliertes dreidimensionales Bild dieses Sterns und seiner unmittelbaren Umgebung gewonnen. Die Forscher vermuten, dass des Rätsels Lösung in der Existenz eines nicht direkt sichtbaren Begleitsterns liegt. Für ihre Beobachtungen haben sie Abbildungstechniken genutzt, wie sie bisher nur in der Radioastronomie zur Analyse interferometrischer Daten zur Anwendung gekommen sind.
Der 2100 Lichtjahre von der Erde entfernte heiße Überriese HD 62623 ist ein exotisches Objekt. Im Unterschied zu seinem Zwilling Deneb im Sternbild Schwan – er gehört derselben Spektralklasse an und bildet zusammen mit Wega und Atair das bekannte Sommerdreieck am Nordhimmel –, wird HD 62623 von einer dichten und komplex aufgebauten Scheibe aus Plasma und Staub umgeben. Bei heißen Überriesen handelt es sich um sehr leuchtkräftige Sonnen. Ihre Strahlung ist so intensiv, dass die energiereichen Photonen einen starken Sternwind hervorrufen. Ein solcher Sternwind würde jedoch verhindern, dass sich in der Nachbarschaft des Sterns eine Staubscheibe formt. Wie also kann sie existieren?
Um die Prozesse besser zu verstehen, durch die Staub in der unwirtlichen Umgebung überhaupt entstehen kann, ist es unbedingt erforderlich, nicht nur die geometrische Anordnung von Gas und Staub nahe der Zentralquelle zu entflechten, sondern auch deren Bewegungen. „Mithilfe unserer Interferometrie-Beobachtungen haben wir ein dreidimensionales Bild von HD 62623 gewonnen, dessen Auflösung der eines virtuellen 130-Meter-Teleskops entspricht“, sagt Florentin Millour, Erstautor der Studie. „Diese Auflösung ist um eine Größenordnung höher als jene, die sich an den derzeit größten optischen Fernrohren mit Spiegeldurchmessern von acht bis zehn Metern erzielen lässt.“
Die Forscher arbeiteten mit einem System namens Amber, das am Very Large Telescope Interferometer (VLTI) in Chile eingesetzt wird. Sie konnten die Qualität ihrer Daten entscheidend verbessern, indem sie eine aus der Radioastronomie bekannte Analysetechnik nutzten, die sogenannte Selbstkalibrations-Methode. Die daraus erhaltenen Bilder vereinen räumliche Information mit Geschwindigkeitsinformation und spannen über zwei räumliche und eine Geschwindigkeitskoordinate ein dreidimensionales Bild auf. Damit zeigen die Aufnahmen nicht nur die Struktur der Materie in der unmittelbaren Umgebung des Sterns, sondern auch deren Bewegung. Diese kinematische Information hat in den Daten bisher gefehlt.
Abb.: Ein Stern in allen Dimensionen: 3D-Bilder von HD 62623, aufgenommen mit dem VLT-Interferometer (links) im Vergleich mit einem Modell für eine rotierende Gasscheibe um den Stern (rechts). Die Insert-Bilder verdeutlichen die Gaskinematik, also die dritte Dimension in Ergänzung von Länge und Breite. Die blaue Farbe zeigt Gas, das sich auf den Beobachter zu bewegt, die rote Farbe Gas, das sich vom Beobachter entfernt. Der Radius des inneren Gasrings von etwa zwei Millibogensekunden entspricht ungefähr dem 1,3-fachen Abstand zwischen Erde und Sonne (1,3 AE); der im Bild sichtbare äußere Staubring hat einen Radius von rund vier AE. (Bild: Florentin Millour et al.)
„Unser neues 3D-Bild lokalisiert den Bereich der Staubbildung in der unmittelbaren Umgebung von HD 62623 mit hoher Genauigkeit und zeigt außerdem die Rotation des Gases um den Zentralstern“, sagt Anthony Meilland. „Diese Rotation folgt den Keplerschen Gesetzen – ganz analog zur Bewegung der Planeten um die Sonne.“ Die Ursache für die rotierende Gasscheibe ist mit hoher Wahrscheinlichkeit ein naher Begleitstern mit ungefähr derselben Masse wie die Sonne.
Wegen seiner mehr als tausendfach geringeren Leuchtkraft gegenüber HD 62623 lässt sich ein solcher Begleiter nicht direkt nachweisen; seine Existenz verrät sich aber durch die Materielücke zwischen Gasscheibe und zentralem Stern. Mit einem solchen Begleiter wären die exotischen Eigenschaften von HD 62623 gut zu erklären. In unserer Milchstraße gibt es bereits einen ähnlichen Fall: den von einem komplexen Nebel umgebenen alten Monsterstern Eta Carinae am südlichen Firmament.
Die neue 3D-Bildtechnik entspricht der bekannten Integralfeld-Spektroskopie. Im Gegensatz dazu ermöglicht sie jedoch eine 15-fach höhere Winkelauflösung, die der Auffindung von detaillierten Strukturen in den Bildern zugute kommt. Die Integralfeld-Spektroskopie erlaubt es, aus jedem Pixel Informationen über die Natur des Gases und die dort herrschenden Geschwindigkeiten herauszulesen. Außerdem messen die Astronomen zusätzlich für jeden Punkt in dem Bild auch die Geschwindigkeit entlang der Sehlinie auf uns zu oder von uns weg.
MPG / MH