Riesensterne als Galaxienkerne
Simulation zeigt Entstehung der ersten massereichen schwarzen Löcher im jungen Kosmos.
Es ist eines der großen Rätsel in der Astronomie: Wie sind die supermassereichen schwarzen Löcher entstanden, die wir heute um Zentrum der meisten Galaxien finden? Die am weitesten entfernten bekannten supermassereichen schwarzen Löcher sind als Quasare quer durch das All sichtbar. Ihre Strahlung stammt aus der Frühzeit des Universums und ist seit gut 13 Milliarden Jahren unterwegs. Lange dachte man, diese riesigen frühen schwarzen Löcher wären aus den Sternen der ersten Generation entstanden.
Da die ersten Sterne sich in der ursprünglichen Materie nach dem Urknall aufgrund des Mangels an schwereren Elementen nur aus Wasserstoff und Helium bilden konnten, waren sie gut hundertfach massereicher als unsere Sonne und dementsprechend kurzlebig. Nach der finalen Explosion in einer Paarinstabilitäts-Supernova sollten sie zwar schwarze Löcher mit etlichen Dutzend Sonnenmassen produziert haben – aber selbst diese ziemlich massereichen stellaren schwarzen Löcher hätten kaum die Zeit gehabt, um zu den heute bekannten Giganten mit bis zu mehreren Milliarden Sonnenmassen heranzuwachsen. Denn die Wachstumsrate schwarzer Löcher ist nicht beliebig groß: Je mehr sie fressen, umso stärker heizen sie auch ihre Umgebung auf und verringern so die Menge an einfallender Materie.
Ein Forscherteam um John Wise vom Georgia Institute of Technology in den USA hat jetzt mit Hilfe neuer Simulationen des frühen Universums einen Weg identifiziert, wie es zu den ersten großen schwarzen Löchern gekommen sein könnte. Hierzu analysierten sie einige besonders dichte Regionen der „Renaissance Simulation“, einer großangelegten Simulation des frühen Universums. Diese lief von 2011 bis 2014 auf einem Supercomputer und erzeugte siebzig Terabyte an Daten. Die Forscher wiederholten die Simulation von zwei besonders interessanten Regionen nochmals mit deutlich gesteigerter Detailtreue, um die wechselseitigen Einflüsse von Gasdynamik, Sternentstehung, chemischer Evolution und Strahlung zu untersuchen.
Dabei fanden die Wissenschaftler, dass sich an mehreren Stellen in den protogalaktischen Halos zwar größere Mengen dunkler Materie angehäuft hatten, die entsprechend starke Gasmassen angezogen hatten. Entgegen der Erwartungen hatte hier allerdings keine Sternbildung stattgefunden. Massereiche Sterne der ersten Generation hätten aufgrund ihrer starken Strahlung solche Materiekonzentrationen wieder aufgewirbelt und die umgebenden Gasmassen mit schweren Elementen angereichert, was erneute Sternentstehung angekurbelt hätte. Stattdessen zeigten diese stark verdichteten Regionen in den Simulationen einen turbulenten Zustrom von Gas, der sich im Lauf der Zeit weiter verstärkte.
Anhand von früheren Simulationen waren die Astronomen davon ausgegangen, dass zur weiteren Verdichtung bei gleichzeitiger Unterdrückung von Sternbildung eine starke ultraviolette Strahlung von benachbarten Sternbildungsregionen notwendig sein sollte. Diese zerstören die H2-Moleküle, die über molekulare Kühlmechanismen zu lokaler Verdichtung und Sternentstehung führen.
In den neuen Simulationen war dieser Effekt aber nicht mehr ganz so entscheidend. Zwar bedurfte es immer noch einer gewissen UV-Strahlung. Aber der wichtigste Faktor bestand in dem schnellen und turbulenten Zustrom großer Gasmassen, wodurch sich die Bildung gravitativer Zentren so lange verzögerte, bis sich enorme Materiekonzentrationen gebildet hatten. Dabei wuchsen diese innerhalb einiger Millionen Jahre auf bis zur dutzende Millionen Sonnenmassen heran.
Diese verdichteten sich an einigen Stellen zu gravitativen Zentren, in denen sich dann supermassereiche Sterne von bis zu hunderttausend Sonnenmassen bildeten. Diese Riesensterne waren extrem kurzlebig und kollabierten nach etwa einer Million Jahre direkt zu einem schwarzen Loch. Ein solches „direct collapse black hole“ hätte eine Anfangsmasse von einigen tausend bis zehntausend Sonnenmassen gehabt – und damit einen deutlichen Startvorteil gegenüber stellaren schwarzen Löchern, die aus normalen Sternen der ersten Generation hervorgehen. Die Forscher sehen dieses Szenario mit turbulent zusammenstürzenden Strömen aus ursprünglichem Gas aus diesem Grund als wahrscheinlichsten Weg zur Entstehung supermassereicher schwarzer Löcher.
Eine interessante Konsequenz dieser Analyse ist, dass es deutlich mehr supermassereiche schwarze Löcher geben sollte, als es bisherige Modelle vorschlagen. Die Wissenschaftler sind deshalb einerseits gespannt auf das James Webb Space Telescope, mit dem sich nicht zuletzt Quasare und andere Galaxienkerne in der Frühzeit des Alls untersuchen lassen. Außerdem sollten sich Verschmelzungen von schwarzen Löchern mit Hilfe von Gravitationswellendetektoren nachweisen lassen und dadurch Hinweis auf ihre Größe geben. Damit sollte sich klären lassen, wie oft der neu identifizierte Prozess wirklich stattgefunden hat und welchen Anteil er an der beobachteten Population schwarzer Löcher hat.
Dirk Eidemüller