11.07.2012

Riesiger Spin-Seebeck-Effekt beobachtet

Temperaturdifferenzen lassen Spinströme auch in nichtmagnetischen Materialien fließen.

Bringt man die beiden Enden eines metallischen Stabmagneten auf unterschiedliche Temperaturen, so bewegen sich in ihm die Elektronen je nach ihrer Spinrichtung zum wärmeren oder zum kälteren Ende. Da die Spins der Elektronen bevorzugt in die Magnetisierungsrichtung des Magneten zeigen, fließt mit dem elektrischen Strom auch ein Spinstrom. Diesen Spin-Seebeck-Effekt beobachteten US-Forscher jetzt überraschenderweise auch bei nichtmagnetischen Materialien.

Abb.: Im Temperaturgefälle bewegen sich die Elektronen je nach Spinrichtung zum kalten (blauen) oder zum heißen (roten) Ende der Probe. Da die Elektronenspins bevorzugt in Richtung des Magnetfeldes der Magnetspule zeigen, fließt ein Spinstrom, der im Detektor eine elektrische Spannung erzeugt. (Bild: Jaworski et al. / NPG)

Japanische Forscher hatte 2008 an einem metallischen Magneten den Spin-Seebeck-Effekt entdeckt – das Spin-Äquivalent des klassischen elektrischen Seebeck-Effekts. Der Spin-Seebeck-Effekt ermöglicht es, in einem magnetischen Material Spinströme mit Hilfe von Temperaturunterschieden zu erzeugen, was ihn für die Spintronik interessant macht. Inzwischen konnte dieser Effekt auch in magnetischen Halbleitern und Isolatoren nachgewiesen werden, in denen eine Temperaturdifferenz zu einem durch spinpolarisierte Elektronen hervorgerufenen Spannungsabfall führt.

Doch jetzt haben Forscher um Christopher Jaworski und Joseph Heremans von der Ohio State University in Columbus nachgewiesen, dass man für den Spin-Seebeck-Effekt gar keine magnetischen Materialen benötigt: Er tritt auch in nichtmagnetischem Indiumantimonit (InSb) auf. Die dabei gemessenen thermoelektrischen Spannungen sind etwa tausendmal so groß wie die an den bisher untersuchten magnetischen Materialien auftretenden Spannungen, sodass die Forscher von einem „Riesen-Spin-Seebeck-Effekt“ sprechen.

Bei ihren Experimenten haben Jaworski und seine Kollegen auf ein 0,5 mm dickes und 5 mm × 15 mm großes rechteckiges InSb-Plättchen an mehreren Stellen kleine Querbalken aus Platin aufgedampft, die als Spannungsdetektoren benutzt wurden. Dann haben sie das Plättchen auf weniger als 40 K gekühlt und in ihm ein Temperaturgefälle erzeugt. Schließlich brachten sie es in ein bis zu 7 Tesla starkes Magnetfeld, das in Längsrichtung des Plättchens und somit parallel zum Temperaturgradienten orientiert war.

Daraufhin trat entlang jedes der Platinquerbalken ein elektrischer Spannungsabfall auf, dessen Stärke vom Temperaturgradienten, von der Magnetfeldstärke und von der Position des jeweiligen Balkens auf dem InSb-Plättchen abhing. Am kalten und am warmen Ende des Plättchens waren die gemessenen Spannungsabfälle am stärksten, sie hatten jedoch unterschiedliches Vorzeichen. An dem Platinbalken, der das Plättchen in der Mitte querte, trat gar keine Spannung auf.

Die gemessenen Spannungen wurden durch die im Plättchen fließenden Spinströme hervorgerufen. Die durch das Magnetfeld spinpolarisierten Elektronen wurden von den Gitterschwingungen oder dem „Phononenstrom“, den der Temperaturgradienten verursachte, mitgerissen und drangen in die einzelnen Platinquerbalken ein. Dabei trat der inverse Spin-Hall-Effekt auf, der die spinpolarisierten Elektronen bevorzugt in eine Hälfte des Querbalkens streute, wodurch sich eine elektrische Spannung aufbaute.

Dank der Gitterschwingungen oder Phononen, die im Gegensatz zu den Elektronen über Entfernungen von Millimetern hinweg korreliert sein können, „spürten“ die Spannungssonden nicht nur den lokalen Temperaturgradienten, sondern sie erhielten auch nichtlokale Informationen. So ließ sich an der gemessenen Spannung ablesen, wo der jeweilige Platinbalken das Plättchen querte.

Ähnliche Resultate hatte man auch für den Spin-Seebeck-Effekt in magnetischen Materialien erhalten. Doch es gibt auch deutliche Unterschiede. So beträgt der Spin-Seebeck-Koeffizient, das Verhältnis vom gemessenen Spannungsabfall zum Temperaturgradienten, für Ferromagneten einige µV/K, während er bei InSb einige mV/K erreicht. Bei Umkehr der Magnetfeldrichtung ändern die gemessene Spannung und der Spin-Seebeck-Koeffizient für einen Magneten ihr Vorzeichen, während sie für InSb nahezu unverändert bleiben.

In Ferromagneten beruht der Spin-Seebeck-Effekt auf einer Wechselwirkung zwischen den Phononen und den Magnonen oder magnetischen Spinwellen. Im nichtmagnetischen Indiumantimonit ist für ihn vermutlich ein Zusammenspiel vom Zeeman-Effekt und dem Phononenstrom verantwortlich, wie die Analyse der Forscher zeigt. Dabei wird die Zeeman-Aufspaltung der Elektronen durch die starke Spin-Bahn-Kopplung im InSb etwa 25-fach verstärkt, was zur enormen Größe des Spin-Seebeck-Koeffizienten beiträgt. Der daraus folgende Riesen-Spin-Seebeck-Effekt ist für die Spintronik natürlich besonders interessant.

Rainer Scharf

OD

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