24.08.2015

Roboter aus dem Orbit lenken

Experiment Kontur-2 testet erfolgreich Telepräsenz-Technologie für Mond- und Planetenforschung.

Es liegen zwar nur rund vierhundert Kilometer zwischen dem Joystick von Kontur-2 und dem Roboter ROKVISS im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt. Doch die Fernsteuerung des Roboters am 18. August war etwas Besonderes: Kosmonaut Oleg Kononenko flog nämlich an Bord der Internationalen Raumstation ISS mit 28.000 Kilometern in der Stunde über die Erde hinweg und steuerte den Roboter am Boden aus der Schwerelosigkeit. Dabei blieb die Verbindung zwischen Himmel und Erde nicht einseitig: ROKVISS – die Abkürzung bedeutet „Robotik-Komponenten-Verifikation auf der ISS“ – meldet über den Joystick zurück, welche Kontaktkräfte am Boden auftreten. Um 16.37 Uhr MEZ während des (ISS-Orbits 3775 bewegte sich zum ersten Mal der Metallfinger des Roboterarms ferngesteuert aus dem All. „In dem Augenblick hat Oleg Kononenko nicht nur über eine Kamera gesehen, sondern auch über den Joystick gespürt, was in unserem Labor mit dem Roboter geschieht“, sagt Jordi Artigas vom DLR-Institut für Robotik und Mechatronik. Im Herbst soll mit dieser Technologie der erste „Tele-Handshake“ zwischen ISS und Erde durchgeführt werden: Dann soll der humanoide DLR-Roboter Space-Justin ferngesteuert aus dem All jemandem auf der Erde die Hand schütteln, auch das mit Kraftrückkopplung.

Abb.: Kosmonaut Oleg Kononenko an Bord der ISS am Joystick des Experiments Kontur-2. (Bild: DLR)

Für die Zukunft der Raumfahrt bedeutet diese Technologie der Telepräsenz, dass ein Kosmonaut von einer Orbitalstation aus einen robotischen Helfer bedienen könnte, der auf der Oberfläche eines Himmelskörpers fein­motorische Arbeiten ausführt. Dabei würde er durch die Kraftrückmeldung das Gefühl haben, selbst vor Ort zu arbeiten. Beim ersten Test am 18. August war die Aufgabe zunächst deutlich einfacher: Kononenko bewegte den Metallfinger von ROKVISS in alle Richtungen und berührte zunächst leicht eine Kontur, während Artigas ihm die entsprechenden Anweisungen vom Boden aus erteilte. Spezielle Sensoren am Roboter erfassen dabei die Kontaktkräfte beispielsweise bei Kollisionen, diese werden dann über Motoren im kraftreflektierenden Joystick an den Kosmonauten weitergegeben.

Insgesamt nur vier Minuten standen für die Teamarbeit zwischen ISS und DLR zur Verfügung, um die Fernsteuerung aus dem All zu testen. Unerwartet hatte zu Beginn des Überflugs wahrscheinlich ein Bauelement der Raumstation die Antenne abgeschattet und die direkte Funkverbindung ließ auf sich warten. Nach fast fünf ewig langen Minuten stand die Verbindung zwischen Weltraum und Erde und die Experimente konnten wie geplant durchgeführt werden. Um 16.42 Uhr verschwand die ISS dann samt Kosmonaut und Joystick wieder hinter dem Horizont und so aus dem Empfangsgebiet der DLR-Antenne in Weilheim, die zuvor Steuerbefehle und Kraftrückmeldungen aus dem russischen Segment der ISS über das German Space Operations Center des DLR an den Roboter und wieder zurück geleitet hatte.

Abb.: Der Arm des Roboters ROKVISS. (Bild: DLR)

Um durchschnittlich dreißig Millisekunden verzögerte sich die Übertragung der Daten. „Eine Zeitverzögerung von etwa hundert Millisekunden entspricht in etwa der menschlichen Reaktionszeit und macht dem Kosmonauten keine Probleme. Für die Roboterregelung sind bereits dreißig Millisekunden eine sehr große Herausforderung, da der geschlossene Regelkreis zwischen Erde und ISS instabil werden kann“, erläutert Artigas. Auch der Verlust von Datenpaketen bei der Übertragung erschwert die reibungslose Kooperation von Kosmonaut und Roboter. Hier greift die vom DLR entwickelte „Time Domain Passivity Control“ für Telepräsenzsysteme, die eine stabile und hochperformante Operation unter allen möglichen Kommuni­kations-Bedingungen ermöglicht – und zwar bis zu Zeitverzögerungen von etwa einer Sekunde.

Das DLR-Institut für Robotik und Mechatronik forscht bereits seit den 1990er Jahren im Bereich der Telerobotik: Auch in der Raumfahrt sollen Mensch und Roboter als Team zusammenarbeiten. Mal steuerten die DLR-Wissen­schaftler den Roboterarm ROTEX im Inneren des Space Shuttles vom Boden aus, mal bedienten sie das Flugmodell von Roboter ROKVISS an der Außenseite der ISS. Nun wurde erstmals ein Roboter mit mehreren Freiheitsgraden von der ISS aus mit Kraftrückkopplung gesteuert. „Mit Kontur-2 haben wir somit den nächsten Meilenstein erreicht: Nun verwenden Kosmonauten unsere Technologie, um mit Robotern am Boden zu arbeiten“, sagt Alin Albu-Schäffer, Leiter des DLR-Instituts für Robotik und Mechatronik. Dabei könnte dieser in Zukunft nicht auf der Erde, sondern auf Mars oder Mond stehen und beispielsweise Habitate aufbauen – während er dafür aus einer Raumstation im Orbit ferngesteuert wird.

DLR / RK

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