Röntgenblick in abtauchende Erdplatten
Hochdruck weicht die Erdkruste in Subduktionszonen auf und kann sie von der Platte lösen.
Die dünne Erdkruste weicht erheblich auf, wenn sie mit einer tektonischen Platte ins Erdinnere abtaucht. Das zeigen Röntgenuntersuchungen eines Minerals, das in basaltischer Kruste in großem Umfang vorkommt, mit Desys Röntgenlichtquelle Petra III. Das Aufweichen kann sogar dazu führen, dass sich die Kruste von der darunter liegenden Platte abschält, wie das internationale Team um Hauke Marquardt von der Universität Oxford nun berichtet. Die abgeschälte Erdkruste hat andere physikalische Eigenschaften als der restliche Erdmantel, was möglicherweise Anomalien in der Ausbreitungsgeschwindigkeit von Erdbebenwellen im Erdmantel erklären kann.
Den Forschenden ist es gelungen, erstmals das Verformungsverhalten des Minerals Davemaoit unter den Bedingungen des Erdmantels zu messen. „Davemaoit gehört zur weit verbreiteten Gruppe der Perowskite, entsteht allerdings erst ab einer Tiefe von etwa 550 Kilometern durch steigenden Druck und Temperatur aus anderen Mineralen“, erläutert Julia Immoor vom Bayerischen Geoinstitut an der Universität Bayreuth. Die Existenz des Minerals war seit Jahrzehnten vorhergesagt worden, erst 2021 wurde jedoch ein natürliches Stück davon gefunden. Davemaoit unterscheidet sich unter anderem durch seine kubische Kristallstruktur von anderen Perowskiten. In ausreichender Tiefe kann es rund ein Viertel der abtauchenden basaltischen Ozeankruste ausmachen.
Mit einer Spezialapparatur an der Extreme Conditions Beamline (P02.2) bei Petra III konnte das Team nun Davemaoit künstlich herstellen und mit dem Röntgenstrahl durchleuchten. Dazu erhitzten die Forschenden fein gemahlenes Wollastonit (CaSiO3) bei hohem Druck auf rund 900 Grad Celsius, bis sich Davemaoit bildete. Anschließend wurde das Mineral durch steigenden Druck von bis zu 57 Gigapascal verformt und dabei per Röntgenstrahl untersucht. Diese Parameter entsprechen den Bedingungen in bis zu 1300 Kilometern Tiefe.
„Die Messungen unter hohem Druck zeigen, dass Davemaoit im tiefen Erdmantel überraschend weich ist“, berichtet Forschungsleiter Marquardt. „Diese Beobachtung ändert unsere Vorstellung vom dynamischen Verhalten der abtauchenden Platten im tiefen Mantel komplett.“ Die Dynamik in solchen sogenannten Subduktionszonen, in denen eine tektonische Platte unter die andere taucht, hängt stark von der Härte der anwesenden Minerale ab. Das überraschend weiche Davemaoit in der absinkenden Erdkruste kann dafür sorgen, dass diese sich von der darunter liegenden Platte ablöst und der weitere Subduktionsprozess dann getrennt für Kruste und die restliche Platte verläuft.
Über eine solche Ablösung wird seit langem spekuliert, weil die abgelöste Erdkruste charakteristische Änderungen von Erdbebenwellengeschwindigkeiten erklären kann, die in verschiedenen Erdtiefen beobachtet werden. Bislang war jedoch unklar, welche Ursachen zu so einer Ablösung, der Delamination, führen können. „Ich freue mich, dass der hier entwickelte Versuchsaufbau zur Lösung wichtiger Fragen beitragen kann, die mit Prozessen im tiefen Inneren unseres Planeten verknüpft sind“, sagt Hanns-Peter Liermann, Leiter der Extreme Conditions Beamline.
DESY / JOL
Weitere Infos
- Originalveröffentlichung
J. Immoor et al.: Weak cubic CaSiO3 perovskite in the Earth’s mantle, Nature 603, 276 (2022); DOI: 10.1038/s41586-021-04378-2 - Experimentelle Geochemie und Geophysik, Bayerisches Geoinstitut, Universität Bayreuth
- Extreme Conditions Beamline (P02.2) bei PETRA III, Deutsches Elektronen-Synchrotron DESY, Hamburg