23.03.2022

Röntgenblick in Tautomere

Inelastische Röntgenstreuung liefert detaillierte Informationen über tautomere Gemische.

Ein Team am Helmholtz-Zentrum Berlin (HZB) hat eine Methode entwickelt, um tautomere Gemische zu untersuchen. Mit resonanter inelastischer Röntgen­streuung (RIXS) an BESSY II lassen sich nicht nur die Anteile der jeweiligen Tautomere exakt bestimmen, sondern auch die Eigenschaften jedes Tautomers. Damit liefert die Methode auch detaillierte Informationen über ihre biologische Funktion. In der Studie wurde die Technik auf das Keto-Enol-Gleich­gewicht angewendet, das bei vielen biologischen Prozessen eine Rolle spielt.

 

Abb.: Das Bild illustriert die experimentelle Methode, mit der hier das...
Abb.: Das Bild illustriert die experimentelle Methode, mit der hier das Keto-Enol-Gleich­gewicht untersucht wurde. (Bild: M. Künsting / HZB)

Viele organische Moleküle liegen als Gemisch zweier fast identischer Moleküle vor, die die gleiche Summen­formel haben, sich aber in einem wichtigen Punkt unterscheiden: Ein einzelnes Wasserstoff­atom sitzt an einer anderen Position. Die beiden isomeren Formen gehen ineinander über und bilden ein empfindliches Gleich­gewicht, ein „tautomeres" Gemisch. Tautomere Gemische spielen in der Biologie eine große Rolle: So sind zum Beispiel viele Amino­säuren tautomere Gemische. Als Bausteine von Proteinen können sie deren Form und Funktion und damit auch ihre biologischen Funktionen in Organismen beeinflussen.

Bislang war es jedoch nicht möglich, die elektronische Struktur solcher tautomeren Gemische gezielt experimentell voneinander zu trennen. Klassische spektroskopische Methoden erfassen nur die Summe der Signale der einzelnen Molekülformen, können aber nicht die Eigenschaften der beiden einzelnen Tautomere im Detail voneinander unterscheiden.

Einem Team um den HZB-Physiker Alexander Föhlisch ist es nun gelungen, eine Methode bereitzustellen, die genau das ermöglicht: Mit Hilfe der inelastischen Röntgenstreuung (RIXS) und einer eigens dafür entwickelten Methode zur Auswertung der Daten lassen sich die einzelnen Anteile der Tautomere aus den Messdaten eindeutig voneinander unterscheiden.

„Wir können das Signal jedes einzelnen Moleküls in der Mischung experimentell trennen. Dies erlaubt uns einen detaillierten Einblick in ihre Funktionalität und chemischen Eigenschaften", sagt Vinicíus Vaz Da Cruz, Erstautor der Arbeit und Postdoc in Föhlischs Team. „Wir messen ein reines Spektrum jedes Tautomers und nutzen dabei die Elementspezifität und Orts­selektivität der Methode", erklärt Vaz Da Cruz. Dadurch lassen sich die Komponenten des tautomeren Gemischs vollständig charakterisieren. In der vorliegenden Studie wurde die Technik auf das prototypische Keto-Enol-Gleich­gewicht von 3-Hydroxypyridin in wässriger Lösung angewendet. Die Daten wurden an der EDAX-Terminalstation bei BESSY II gewonnen.

Diese Ergebnisse liefern experimentelle Beweise für Konzepte, die in der Literatur bisher nur theoretisch diskutiert wurden. Sie sind besonders interessant, um wichtige biologische Prozesse wie die Wechsel­wirkung zwischen Nukleoid­basen der DNA, die metabolische Umwandlung von Fruktose in Glukose oder die Faltung von Proteinen aufzuklären und zu verstehen.

HZB / DE

 

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