09.07.2010

Röntgenlaser schlägt zu

Mit einer gewaltigen Photonenflut räumt die LINAC Coherent Light Source in Neonatomen die innere Elektronenschale leer.

Mit einer gewaltigen Photonenflut räumt die LINAC Coherent Light Source in Neonatomen die innere Elektronenschale leer.

Der stärkste Röntgenlaser der Welt, die LINAC Coherent Light Source (LCLS), hat zugeschlagen und einige bemerkenswerte Resultate erbracht: Die Röntgenpulse sind viel kürzer als erwartet; man kann mit ihnen Atome „aushöhlen“, d. h. sie ihrer beiden innersten Elektronen berauben; diese hohlen Atome streuen die Röntgenstrahlung elastisch, absorbieren sie aber kaum noch. Da dies auch für andere Atome gilt, könnte man die Struktur einzelner Moleküle mit intensiver Röntgenstrahlung bestimmen, bevor die Moleküle zerstört werden.


 

 

Abb.: Röntgenphotonen mit weniger als 870 eV Energie können nur die äußeren Elektronen eines Neonatoms „abschälen“, während Photonen mit mehr als 993 eV auch die inneren Elektronen herausschlagen können. Das dabei entstehende „hohle“ Atom ist zunächst vor weiterer Ionisation durch Röntgenphotonen geschützt. (Bild: Justin Wark, Nature)

Die LCLS ist der erste Freie-Elektronen-Laser für harte Röntgenstrahlung mit Wellenlängen zwischen 1,5 nm und 0,6 nm, was einer Photonenenergie von 800 eV bis 2000 eV entspricht. Die Anlage nutzt das kilometerlange Schlussstück des alten Linearbeschleunigers LINAC in Stanford, um Elektronenpakete von 80-230 fs Dauer auf relativistische Geschwindigkeit zu bringen. Anschließend durchlaufen die Elektronen einen 130 Meter langen Abschnitt mit Undulatoren, deren räumlich periodische Magnetfelder die geladenen Teilchen zur Emission von Röntgenpulsen bringen.

Jeder Puls hat eine Intensität von 1018 W/cm2 und enthält 10 Billionen Photonen. Auf eine Fläche von 1 Å2, was dem Querschnitt eines Atoms entspricht, prasseln pro Puls etwa 105 Photonen, sodass ein Atom während eines Pulses mehrere Photonen aufnehmen kann. Im viel schwächeren Röntgenstrahl eines Synchrotrons ist dies unwahrscheinlich. Daher lassen sich mit dem Röntgenlaser völlig neue Ionisationsprozesse untersuchen. Zudem ermöglicht es die hohe Intensität der Röntgenpulse, durch Beugungsexperimente die Struktur einzelner Moleküle zu bestimmen. Das ist vor allem für solche Biomoleküle interessant, die keine Kristalle bilden und deren Struktur deshalb nicht mit herkömmlichen Röntgenquellen bestimmt werden kann.

Linda Young vom Argonne National Laboratory und ihre Kollegen haben diese extrem intensiven Röntgenpulse auf Neonatome gerichtet, die im Energiebereich des Lasers besonders interessante Reaktionen zeigen. So beträgt die Bindungsenergie eines 1s-Elektrons in einem neutralen Neonatom 870 eV, während man mit einer Energie von 993 eV auch das zweite 1s-Elektron entfernen und damit das Atom aushöhlen kann. Die Forscher haben ihre Experimente nacheinander mit drei verschiedenen Photonenenergien (800 eV, 1050 eV und 2000 eV) durchgeführt. Die Wirkung der Laserpulse auf die Atome bestimmten die Forscher, indem sie die Atomrümpfe mit einem Flugzeitspektrometer und die Photoelektronen mit einem Elektronenspektrometer analysierten.

Bei einer Photonenenergie von 800 eV konnten nur die 8 Hüllenelektronen aus den Atomen herausgeschlagen werden, sodass ein- bis achtfach ionisiertes Neon auftrat. War die Energie 1050 eV oder 2000 eV, so konnten ein oder zwei innere Elektronen entfernt werden. Diese hohlen Atome haben die Forscher erstmals beobachtet. Anschließend kam es zum Auger-Zerfall: In die entstandenen Lücken stürzten Elektronen aus der Hülle. Die dabei freiwerdende Energie wurde von anderen Hüllenelektronen aufgenommen, die dann davonflogen. So konnten die Neonatome schließlich alle Elektronen verlieren.

Als die Forscher für den 2000-eV-Strahl die statistische Verteilung der verschiedenen Ionisierungszustände der Neonatome untersuchten und mit theoretischen Berechnungen verglichen, erlebten sie eine Überraschung. Nahmen sie an, dass der Laserpuls mit 80 fs ebenso lang war wie der Elektronenpuls aus dem LINAC, der ihn erzeugt hatte, so stimmten Theorie und Experiment nicht miteinander überein. Eine gute Übereinstimmung gab es jedoch unter der Annahme, dass der Laserpuls nur 20 fs dauerte. Eine ähnliche kurze Pulsdauer ergab sich auch aus dem Vergleich der Häufigkeiten, mit denen ein Laserpuls ein bzw. zwei innere Elektronen aus den Atomen herausschlagen konnte. Es besteht somit kein Zweifel daran, dass die Laserpulse kürzer sind als erwartet.

Doch es gab noch eine weitere Überraschung. Sobald ein Atom seine beiden inneren Elektronen verloren hatte, nahm die Wahrscheinlichkeit, noch ein äußeres Elektron zu verlieren, dramatisch ab und zwar auf etwa 5 %. Das hohle Atom war für die ionisierende Wirkung der Röntgenpulse nahezu durchsichtig geworden. Erst wenn ein Hüllenelektron in die innere Schale gelangte, setzte die Ionisation der Hülle wieder ein. Diese „Transparenz“ der hohlen Atome ist auch von einer anderen Forschergruppe am LCLS für Stickstoffmoleküle beobachtet worden.

Mit sehr kurzen und intensiven Röntgenpulsen ist es demnach möglich, die Atome eines Moleküls auszuhöhlen und so ihre Elektronenhüllen vor Ionisation zu schützen, während die nachfolgenden Röntgenphotonen elastisch gestreut werden und die Bestimmung der Molekülstruktur ermöglichen. Der neue Röntgenlaser eröffnet wirklich ungeahnte Möglichkeiten.

RAINER SCHARF

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AL

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