07.02.2024

Röntgenpulse klären das Geheimnis der lichtinduzierten Ferroelektrizität

Experimente zeigen komplexe Wechselwirkungen in Strontiumtitanat.

Forschende des Max-Planck-Instituts für Struktur und Dynamik der Materie (MPSD) in Hamburg und des SLAC National Accelerator Laboratory in den Vereinigten Staaten haben neue Erkenntnisse über die Entwicklung des licht­induzierten ferro­elektrischen Zustands in Strontiumtitanat gewonnen. Sie setzten das Material Laserpulsen im mittleren Infrarot- und Terahertz­bereich aus und stellten fest, dass die Fluktuationen der Atompositionen unter diesen Bedingungen reduziert werden. Dies könnte das Entstehen einer geordneteren dipolaren Struktur als im Gleichgewicht und eines lichtinduzierten ferro­elektrischen Zustands erklären.

Abb.: Licht im mittleren Infrarotbereich reduziert die Fluktuationen der...
Abb.: Licht im mittleren Infrarotbereich reduziert die Fluktuationen der oktaedrischen Rotationen in Strontiumtitanat. Dies ermöglicht dem Material in einen ferroelektrischen Zustand überzugehen, indem das zentrale Titan-Ion entweder nach oben oder nach unten verschoben wird.
Quelle: J. Harms, MPSD

Mittelinfrarote und Terahertz-Frequenz-Laserimpulse sind leistungs­starke Instrumente, um die Eigenschaften von Quantenmaterialien durch maßgeschneiderte Modifikationen ihrer Kristallstruktur zu verändern. Lichtinduzierte Ferro­elektrizität in SrTiO₃ ist ein bemerkenswertes Beispiel dieser Physik. Bei der Bestrahlung mit Mittelinfrarot-Laserpulsen geht dieses Material in einen Zustand ständig geordneter elektrischer Dipole über, der sich unter gewöhnlichen Bedingungen nicht ausbilden würde. Es ist bislang nicht verstanden, welcher Mechanismus diesem Übergang zugrunde liegt. 

Forschende des MPSD und des SLAC National Accelerator Laboratory hat am Freie-Elektronen-Laser SwissFEL ein Experiment mit Röntgenblitzen durchgeführt, um die zentralen Wechsel­wirkungen zu identi­fizieren, die zur Erzeugung dieses Zustands beitragen. Dabei ergaben sich neue Einsichten nicht aus der Bestimmung der Atompositionen selbst, sondern aus der Messung der Fluktuationen dieser Positionen. Die Ergebnisse zeigen, dass eine Reduzierung der Atom­fluktuationen stattgefunden hat, was sowohl die stärkere Ordnung einer polaren Struktur im Vergleich zum Gleichgewicht als auch die Ausbildung des lichtinduzierten ferroelektrischen Zustands erklären könnte.

Ferroelektrische Materialien kennzeichnen sich durch die spontane, parallele Ausrichtung elektrischer Dipole aus, die eine makroskopische elektrische Polarisation erzeugt, welche in zwei entgegengesetzte Richtungen zeigen kann. Diese Polarisation kann mittels eines elektrischen Feldes umgedreht werden, was den Einsatz in digitalen Speicher- und Verarbeitungs­elementen moderner Elektronik­geräte ermöglicht. Strontiumtitanat ist ein Quanten­paraelektrikum. Im Gegensatz zu vielen anderen ferroelektrischen Materialien besitzt SrTiO₃ keinen makroskopischen ferroelektrischen Zustand. Es gibt jedoch zahlreiche experimentelle Belege dafür, dass Quantenfluktuationen des Kristallgitters die Entwicklung einer langreichweitigen Ordnung verhindern. 

Im Jahr 2019 entdeckte die Gruppe um Cavalleri, dass SrTiO₃ ferroelektrisch wird, wenn man bestimmte Schwingungen des Kristallgitters mit starken Lichtpulsen im Mittelinfrarot anregt. Der Einsatz von Licht zur Induktion und Kontrolle der Ferro­elektrizität bei elektronisch nicht erreichbaren hohen Frequenzen kann als Schlüsselelement für zukünftige Hochgeschwindigkeits­speicheranwendungen angesehen werden. Zu jener Zeit wurde vermutet, dass eine nichtlineare Reaktion des Kristall­gitters der Ursprung dieses Effekts sei, da diese das Atomgitter verspannt und dem Material dadurch helfen kann, ferroelektrisch zu werden. Bislang fehlten jedoch direkte Messungen dieser möglichen Verspannung und, noch wichtiger, der Fluktuationen der Atompositionen in den frühesten Zeitfenstern nach der Mittelinfrarot-Anregung.

Nun haben die Forscher sich mit der Gruppe von Mariano Trigo am SLAC zusammengeschlossen und die Mittelinfrarot-Anregung mit Femtosekunden-Röntgenblitzen vom Freie-Elektronen-Laser SwissFEL kombiniert, um diese Dynamiken zu untersuchen, die sich im Bereich von Sub-Piko­sekunden abspielen. „In einem typischen Röntgen­beugungsexperiment nutzt man die konstruktive Interferenz der von den periodisch ausgerichteten Atomen gestreuten Röntgenstrahlen, um ihre mittleren Positionen zu messen“, sagt Michael Först. „Aber hier detektierten wir die diffuse Streuung, die aus der Unordnung in der atomaren Anordnung entsteht und empfindlich auf Fluktuationen, oder in anderen Worten auf Rauschen, des Kristallgitters reagiert.“

Das Team stellte fest, dass die Fluktuationen bestimmter atomarer Rotationsbewegungen im SrTiO₃-Gitter, welche die Ausbildung der Ferroelektrizität behindern, durch die gepulsten Mittel­infrarot-Anregung schnell reduziert wurden. Ein solcher Prozess tritt bei diesem Material im Gleichgewicht nicht auf und deutet auf den Ursprung der lichtinduzierten Ferro­elektrizität hin. Dieser Sachverhalt wurde durch eine umfassende theoretische Analyse untermauert, welche die komplexen Wechsel­beziehungen zwischen bestimmten Gitter­schwingungen und der Verspannung aufgrund der experimentellen Daten untersuchte. Michael Fechner, der Theoretiker dieses Projekts, betont die Bedeutung der Zusammenarbeit zwischen Theorie und Experiment: „Sie ermöglicht es uns, die Vorhersage­werkzeuge zu schärfen und unser mikroskopisches Verständnis von kondensierter Materie und ihrer Wechselwirkung mit Licht auf fundamentaler Ebene zu verbessern.“

Andrea Cavalleri, Gruppenleiter und Direktor am MPSD, sieht neue Möglichkeiten, die sich aus dieser Studie ergeben: „Die Tatsache, dass bestimmte Gitterfluktuationen, die die Bildung einer langreichweitigen ferroelektrischen Ordnung verhindern, durch dynamische Ansätze unterdrückt werden können, ist neu und bietet Möglichkeiten für ähnliches Verhalten in einer Vielzahl von Quantenmaterialien. Darüber hinaus untersucht unsere Gruppe induzierte Ordnungen auch in anderen Bereichen, einschließlich des Magnetismus und der Supraleitung, wobei die hier diskutierten Ergebnisse weit­reichendere Implikationen haben könnten, die über die Physik von SrTiO₃ hinausgehen.“

MPSD / JOL

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