Röntgenstrahlen von der Tesarolle
Beim Abziehen eines Klebestreifens entsteht neben sichtbarem Licht auch Röntgenstrahlung.
Beim Abziehen eines Klebestreifens entsteht neben sichtbarem Licht auch Röntgenstrahlung.
Vor 400 Jahren bemerkte der englische Philosoph Franzis Bacon ein funkelndes Licht, als er mit einem Messer an einem Zuckerkristall kratzte. Nicht weniger überraschend ist das vor 70 Jahren erstmals beobachtete grünliche Leuchten von Klebebändern, die von ihrer Unterlage abgezogen werden. Dies sind Beispiele für die Tribolumineszenz oder mechanisch hervorgerufene Lumineszenz, die noch immer viele Fragen aufwirft. Jetzt berichten US-amerikanische Forscher, dass beim Abziehen eines Klebebandes von der Rolle neben Licht auch merkliche Röntgenstrahlung entsteht.
Wie Seth Putterman und seine Kollegen von der University of California in Los Angeles betonen, hatten russische Forscher schon 1953 energiereiche Elektronen und Röntgenstrahlung erzeugt, indem sie eine Polymerschicht von einer Glasunterlage abzogen. Die kalifornischen Wissenschaftler haben dieses Experiment mit durchsichtigem Kunststoffklebeband wiederholt und die entstehende Strahlung zeitlich und nach ihrer Energie aufgelöst gemessen. Dadurch konnten sie neue Einblicke in diese Art der Tribolumineszenz gewinnen.
Abb.: Sichtbares Licht von einem abrollenden Klebeband. Das Bild entstand auf einer Cannon EOS 10D mit einer 30 Sekunden Belichtung . (Bild: Carlos Camara and Juan Escobar)
Um das Klebeband unter kontrollierten Bedingungen abzuwickeln, bauten die Forscher einen Apparat, der einem Tonbandgerät ähnelte. In ihm wurde das Band mit einer konstanten Geschwindigkeit von 3 cm/s von der Rolle abgezogen und auf einen elektrisch angetriebenen Zylinder aufgewickelt. Dabei wurde die zum Abwickeln nötige Kraft ebenso gemessen wie die auftretende Lumineszenz. Der ganze Apparat konnte in eine Vakuumkammer gebracht werden, die mit einem Fenster ausgestattet war, durch das sich die Lumineszenz beobachtet ließ.
Unter normalem Luftdruck trat an der Stelle, wo sich das Band von der Unterlage löste, ein helles bläuliches Leuchten auf. Das Spektrum des emittierten Lichtes zeigte deutlich mehrere Stickstofflinien, was die Forscher als Zeichen für eine Gasentladung werten. Zudem traten auch energiereiche Elektronen auf, die anhand der von ihnen auf einem Phosphorschirm verursachten Szintillation nachgewiesen wurden. Bei einem stark verringerten Druck von 10-3 Torr verbreiterte sich das Spektrum und die Stickstofflinien verschwanden. Zugleich trat Röntgenstrahlung mit Photonenenergien von bis zu 100 keV auf, wobei der Peak des Spektrums bei 10 keV lag.
Abb.: Röntgenstrahlbild eines menschlichen Fingers, aufgenommen mit einer abrollenden Klebebandrolle als Strahlquelle (im Hintergrund erkennbar).
(Bild: Carlos Camara, Juan Escobar and Seth Putterman)
Die Röntgenphotonen entstanden nicht gleichförmig sondern stoßweise, und zwar dann, wenn die zum Abwickeln nötige Kraft plötzlich und vorübergehend nachließ. In solchen Momenten wurde angesammelte mechanische Energie ruckartig frei. Doch wie konnte sich diese Energie in Röntgenstrahlung umwandeln? Die Forscher machen dafür die „Triboaufladung“ des Klebebandes verantwortlich. Wenn die klebrige Unterseite des Bandes sich von der darunter liegenden, glatten Bandoberseite trennt, findet eine elektrostatische Ladungstrennung statt. Die klebrige Seite lädt sich positiv auf und die glatte Seite negativ. Es entsteht eine elektrische Spannung, in der es zur Gasentladung und damit zum sichtbaren Leuchten kommt.
Wenn sich das Klebeband ruckartig von der Unterlage löst, treten sehr hohe Spannungen zwischen der Ober- und der Unterseite des Bandes auf. Bei sehr kleinem Gasdruck können diese Spannungen Elektronen zu so hohen Energien beschleunigen, dass sie beim Auftreffen auf die positiv geladene Seite des Bandes Bremsstrahlung in Form von Röntgenstrahlung abgeben. Die im Experiment auftretende Strahlung war so intensiv, dass die Forscher mit ihr bei 20 s Belichtungsdauer einen Finger röntgen konnten. Das Klebeband ließe sich damit als einfache Röntgenquelle für lokale Aufnahmen nutzen. Da die Röntgenstrahlung nur im Vakuum auftritt, kann man Klebebänder auch weiterhin kraftvoll von der Rolle abziehen, ohne sich dabei um seine Gesundheit sorgen zu müssen.
RAINER SCHARF
Weitere Infos
- Originalveröffentlichung:
Carlos G. Camara et al.: Correlation between nanosecond X-ray flashes and stick–slip friction in peeling tape. Nature 455, 1089 (2008)
http://dx.doi.org/10.1038/nature07378 - Gruppe von Seth Putterman an der UC Los Angeles:
http://www.physics.ucla.edu/research/putterman/index.html
Weitere Literatur:
- N. E. Harvey: The luminescence of adhesive tape. Science 89, 460 (1939)
http://dx.doi.org/10.1126/science.89.2316.460 - R. Budakian et al.: Picosecond discharges and stick–slip friction at a moving meniscus of mercury on glass. Nature 391, 266 (1998)
http://dx.doi.org/10.1038/34617 - L. McCarty & and G. M. Whitesides: Electrostatic charging due to separation of ions at interfaces: contact electrification of ionic electrets. Angew. Chem. Int. Ed. 47, 2188 (2008)
http://dx.doi.org/10.1002/anie.200701812
GWF