„Rotes Kruzifix“ entschlüsselt?
Kurzer Gammastrahlenblitz in der Milchstraße könnte für das Ereignis aus dem Jahre 774 verantwortlich sein.
Es ist das Ergebnis einer gewaltigen kosmischen Explosion: Wenn zwei extrem kompakte Himmelskörper miteinander verschmelzen, setzt dies blitzartig eine riesige Menge Energie frei. Ein kurzer Gammastrahlenblitz entsteht, dessen Strahlung durch das All rast. Solche Blitze lassen sich auch noch in vielen tausend Lichtjahren Entfernung von der Erde aus beobachten.
Während die bisher registrierten Gammablitze jedoch stets auf sehr weit entfernte Ereignisse im Weltall zurückgehen, haben Ralph Neuhäuser und Valeri Hambaryan vom Astrophysikalischen Institut der Uni Jena jetzt erstmals Hinweise auf einen kurzen Gammastrahlenblitz aus unserer Galaxis gefunden – in kosmischen Dimensionen also direkt vor unserer Haustür.
Dessen Spuren reichen zurück bis ins frühe Mittelalter der Jahre 774 und 775: Während Karl der Große das Langobardenreich in Nord- und Mittelitalien erobert und sich zum König der Langobarden krönen lässt; während er Krieg gegen die Sachsen führt und Leo IV. neuer Kaiser des Byzantinischen Reiches wird; genau in dieser Zeit erreichte die Erde ein wahrer Strahlungstsunami. Dieser sorgte für einen bisher nie beobachteten Anstieg des radioaktiven 14C und 10Be in der Erdatmosphäre.
„Wir gehen davon aus, dass es damals in 3000 bis 12.000 Lichtjahren Entfernung einen kurzen Gammablitz gegeben hat“, erläutert Neuhäuser, „wahrscheinlich durch die Verschmelzung zweier Schwarzer Löcher, Neutronensterne oder Weißer Zwerge.“ Diese nur höchstens zwei Sekunden andauernde Explosion setzte so viel Energie frei, dass davon in der Erdatmosphäre noch etwa die Energiemenge von 14.000 Hiroshima-Atombomben ankam. Ob die Menschen das damals überhaupt bemerkt haben oder ob es mit dem in angelsächsischen Aufzeichnungen von 776 erwähnte „Rote Kruzifix am Himmel“ zusammenhänge, sei allerdings fraglich.
Fest steht für die Forscher jedoch: „Würde sich ein solches Ereignis heute wiederholen, so wären die Folgen spürbar“, sagt Hambaryan. Zwar seien Mensch und Natur durch die Atmosphäre vom Großteil der kosmischen Strahlung geschützt, nicht aber die zahlreichen Satelliten, die die Erde umkreisen. Die würden möglicherweise ausfallen oder beschädigt werden. Allerdings, so beruhigen die Forscher, seien solche Ereignisse sehr selten – im Mittel komme es nur einmal in Tausenden bis Zehntausenden von Jahren vor.
Zum sprunghaften Anstieg des radioaktiven Kohlenstoff-Isotops sagt Neuhäuser: „Sowohl die normale Sonnenaktivität als auch eine Supernova scheiden als mögliche Ursachen aus.“ Die Astrophysiker der Uni Jena haben daher die Möglichkeit eines kurzen Gammablitzes als Quelle der kosmischen Strahlung geprüft und fanden ihre Vermutung bestätigt. „Sowohl die Energie als auch das Spektrum der Strahlung, die damals die Atmosphäre traf, lassen sich mit einem kurzen Gammablitz sehr genau erklären“, so Neuhäuser. Ein letzter Beweis stehe allerdings noch aus: die Entdeckung der „Überreste“ der kosmischen Kollision. Wenn es tatsächlich einen kurzen Gammablitz gegeben hat, so muss dabei entweder ein neuer massereicher Neutronenstern oder ein Schwarzes Loch entstanden sein.
FSU / OD