17.03.2023

Rotierende Moleküle mit topologischen Eigenschaften

Zweiatomige Moleküle in Rotation können topologische Effekte aufweisen.

Die seltsamen topologischen Eigenschaften einiger Formen von Materie werden seit Jahrzehnten erforscht. Nun haben Forscher des Institute of Science and Technology Austria (ISTA) topologische Eigenschaften zweiatomiger Moleküle entdeckt. Dabei wendeten sie ähnliche mathematische Methoden an wie bei Festkörpersystemen und verbinden damit zwei verschiedene Bereiche der Physik. Ihre Erkenntnisse versprechen auch mögliche zukünftige Anwendungen in der Chemie.

 

Abb.: Rotierendes zweiatomiges Molekül. Ein aus zwei Atomen bestehendes...
Abb.: Rotierendes zweiatomiges Molekül. Ein aus zwei Atomen bestehendes Molekül wird von Laser­strahlen (gelb) getroffen, die es um den

Manchmal ergeben sich unvorhergesehene Verbindungen zwischen unterschiedlichen Forschungs­gebieten in der Physik. Genau das ist der Fall bei den topologischen Eigenschaften von Quantenzuständen in rotierenden Molekülen. In einer neuen Studie haben Volker Karle, Areg Ghazaryan und Mikhail Lemeshko vom Institute of Science and Technology Austria (ISTA) nun gezeigt, dass ein einfaches rotierendes Molekül aus nur zwei Atomen Quanten­zustände mit topologischen Eigenschaften aufweisen kann. Diese ähneln denen in Graphen und anderen topologischen Festkörper­materialien. „Das Interessante ist, dass diese beiden Systeme – ein einzelnes rotierendes Molekül und eine Graphen­schicht aus Millionen von Kohlenstoff­atomen – sehr unterschiedlich sind und dennoch einige ihrer Eigenschaften durch ähnliche Mathematik beschrieben werden können“, erklärt Karle. „Wir verbinden damit die physikalische Chemie und Festkörper­physik.“

„Topologie ist die Lehre der geometrischen Eigenschaften eines Objekts, die sich durch kontinuierliche Veränderung seiner Form und Größe nicht ändern. Die Erkenntnis, dass man Quantenzustände nicht nur nach ihrer Energie und Symmetrie, sondern auch nach ihrer Topologie klassifizieren kann, hat in den letzten Jahr­zehnten zu einem echten Durchbruch in unserem Verständnis der Festkörper­physik geführt“, erklärt Lemeshko. In Systemen wie topologischen Isolatoren entstehen diese topologischen Effekte durch Millionen von Atomen, die miteinander wechselwirken. Karle, Ghazaryan und Lemeshko haben jedoch gezeigt, dass dieses Phänomen auch in viel einfacheren Systemen wie einem einzelnen Molekül zu finden ist.

„Das System, das wir untersuchen, ist ein einzelnes Molekül, das aus zwei aneinander gebundenen Atomen besteht“, sagt Karle. Die Forscher haben ein Modell entwickelt, das beschreibt, was in einem solchen Molekül passiert, wenn es durch kurze Laser­pulse dazu gebracht wird, sich um den Mittelpunkt zwischen den beiden Atomen zu drehen. „Mit der richtigen Wellenlänge und dem richtigen Timing der Laserpulse können wir topologisch nichttriviale Quantenzustände im Molekül erzeugen, die sich ähnlich wie in Festkörper­systemen verhalten.“

Seit Jahrzehnten untersuchen Wissenschaftler die topologischen Eigenschaften vieler verschiedener Materialien und Systeme. 2016 führte dies sogar zu einem Nobelpreis. Sie in einem einfachen Molekül zu finden, ermöglicht jedoch neue Arten von Experimenten und Anwendungen. „Wir stellen uns ein Experiment vor, bei dem ein Strom solcher Moleküle aus einer Quelle heraus­geschossen und dann von Laserpulsen getroffen wird“, erhofft sich Karle. „Sie fliegen dann in einen Detektor, wo wir ihre Quantenzustände viel detaillierter untersuchen können, als dies mit Festkörpersystemen möglich ist.“ Von künftigen Experimenten erhoffen sich die Forscher noch viele weitere Erkenntnisse, die vielleicht den Grundstein für neue Anwendungen in der Chemie legen könnten.

Nichttriviale topologische Eigenschaften, wie sie in dieser neuen Veröffentlichung beschrieben werden, könnten zu topologisch geschützten Quanten­zuständen führen. Diese sind besonders interessant für alle Anwendungen, die gegen äußere Störungen wie Hitze, Magnetfelder oder Material­verunreinigungen resistent sein müssen. Ein bekanntes Beispiel, das in den letzten Jahren viel Forschungs­interesse geweckt hat, sind Quanten­computer, die auf topologischen Quantenbits basieren.

Die Moleküle, die Karle und seine Kollegen untersuchen, würden jedoch in anderen Bereichen Anwendung finden. „Wir hoffen, dass diese Forschung es uns ermöglicht, viele chemische Reaktionen besser zu verstehen. Damit könnten wir sie auch besser steuern“, sagt Lemeshko. „Wir könnten Laser einsetzen, um topologisch geschützte Quanten­zustände in Molekülen zu erzeugen, die ihre Reaktions­fähigkeit mit anderen Chemikalien je nach Bedarf erhöhen oder verringern. Der topologische Schutz würde den Quanten­zustand des Moleküls stabilisieren, der sonst schnell verschwinden würde.“

ISTA / DE
 

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