18.03.2020

Ryugu als Bindeglied der Planetenbildung

Asteroid besteht rundum fast vollständig aus hochporösem Material.

Das Sonnensystem mit seinen Planeten bildete sich vor rund 4,5 Milliarden Jahren. Zahlreiche bruchstück­hafte Zeitzeugen dieser frühen Phase ziehen bis heute als Asteroiden ihre Bahnen um die Sonne. Rund Dreiviertel davon sind kohlenstoffreiche C-Typ-Asteroiden wie auch 162173 Ryugu, der 2018 und 2019 das Ziel der japanischen Weltraum­mission Hayabusa-2 war und die sich gegenwärtig auf ihrem Rückflug zur Erde befindet. Zahlreiche Wissenschaftler, darunter auch Planeten­forscher des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt DLR, untersuchten den knapp einen Kilometer großen nah der Erdbahn kreuzenden kosmischen „Schutthaufen“ intensiv. Nun zeigen Infrarot-Aufnahmen der Raumsonde, dass der Asteroid rundum fast vollständig aus hochporösem Material besteht. Demnach hat sich Ryugu größten­teils aus den Bruchstücken eines durch Einschläge zertrümmerten Mutter­körpers gebildet.

Abb.: Der Asteroid Ryugu besteht rundum fast vollständig aus hoch­porösem...
Abb.: Der Asteroid Ryugu besteht rundum fast vollständig aus hoch­porösem Material. (Bild: JAXA / U. Tokyo / Kochi U. / Rikkyo U. / Nagoya U. / Chiba Institute of Tech­nology, Meiji U. / U. Aizu / AIST / U. Aizu / Kobe U. / Auburn U.)

Die hohe Porosität und der damit verbundene geringe innere Zusammenhalt der Gesteins­brocken auf Ryugu sorgen dafür, dass solche Körper beim Eintritt in die Erdatmosphäre vermutlich in zahlreiche Fragmente auseinander­brechen. Deshalb lassen sich kohlenstoffreiche Meteoriten nur sehr selten auf der Erde finden, weil die Atmosphäre tendenziell einen höheren Schutz vor ihnen bietet. Diese Untersuchung der globalen Eigenschaften von Ryugu bestätigen und ergänzen die Erkenntnisse, die der deutsch-französische Lander Mascot im Rahmen der Hayabusa-2-Mission bereits für die Lande­umgebung auf Ryugu erbrachte. „Fragile, hochporöse Asteroiden wie Ryugu sind wahrscheinlich das Bindeglied in der Evolution von kosmischem Staub zu massiven Himmelskörpern“, sagt Matthias Grott vom DLR-Institut für Planeten­forschung. „Hier schließt sich eine Lücke im Verständnis der Planetenbildung, da wir solches Material bei Meteoriten­funden auf der Erde bisher kaum nachweisen konnten.“

Die Forscher um Tatsuaki Okada von der japanischen Raumfahrtagentur JAXA hatten in mehreren Messreihen im Herbst 2018 mit dem Infrarot-Sensor TIR auf Hayabusa-2 im Tag-und-Nachtzyklus den Verlauf der Oberflächen­temperatur des Asteroiden analysiert. Dabei stellten sie fest, dass sich die Oberfläche nach Sonnen­aufgang bis auf kleine Ausnahmen sehr schnell erwärmt. „Die schnelle Erwärmung im Temperatur­bereich von rund minus 43 Grad Celsius bis plus 27 Grad Celsius lässt auf eine geringe Dichte und zudem hohe Porosität des Materials mit vielen Hohlräumen schließen“, erklärt Matthias Grott. Ferner bemerkenswert: Rund ein Prozent der Brocken unterscheidet sich von den meisten Brocken auf Ryugu: Diese waren auf ihrer Oberfläche kälter und ähneln eher den Meteoriten, die wir auf der Erde finden können. „Dabei handelt es sich um massivere Bruchstücke aus dem Inneren eines ursprünglichen Mutterkörpers, oder diese stammen von anderen Quellen und sind erst später auf Ryugu gefallen“, ergänzt Jörn Helbert vom DLR-Institut für Planeten­forschung.

Die fragile poröse Struktur der C-Typ Asteroiden könnte der Struktur von Planetesimalen entsprechen, die zu Beginn der Planeten­entstehung, der Akkretion, im solaren Urnebel entstanden sind und bei unzähligen Kollisionen die Planeten­bildung vorantrieben. Fast die gesamte Materie der präsolaren Wolke aus Gas und Staub ballte sich in der jungen Sonne zusammen. Als eine kritische Masse erreicht war, setzte in ihrem Zentrum der wärme­erzeugende Prozess der Kernfusion ein. Um die junge Sonne, die fast die gesamte Materie der präsolaren Wolke in sich vereinigte, sammelte sich der Rest aus Staub, Eis und Gas in einer rotierenden Akkretionsscheibe. Durch die Wirkung der Schwerkraft formte sich in dieser Scheibe vor rund 4,5 Milliarden Jahren erste Planeten­embryonen, die Planetesimale. Nach einer vergleichs­weise kurzen Zeitspanne von vielleicht nur zehn Millionen Jahren entstanden aus diesen Planetesimalen zunächst die Planeten und ihre Monde. Viele kleine Körper – Asteroiden und Kometen – blieben dabei übrig und konnten sich wegen der Schwerkraft­störungen, vor allem durch Jupiter, des mit Abstand größten und masse­reichsten Planeten, nicht zu weiteren Planeten zusammenballen.

Allerdings sind die Prozesse der Früh­geschichte unseres Sonnensystems nicht in allen Details verstanden. Viele Aussagen beruhen nur auf Modellen und ließen sich noch nicht durch Beobachtungen bestätigen, auch weil Spuren aus dessen Frühzeit rar sind. „Die Ursachen­forschung am Objekt ist daher in erster Linie auf extra­terrestrische Materie angewiesen, die in Form von Meteoriten aus den Tiefen des Sonnensystems auf die Erde gelangt“, erläutert Jörn Helbert. Darin enthalten sind Bestandteile, die aus jener kritischen Zeit der Entstehung von Sonne und Planeten stammen. „Zudem benötigen wir Missionen zu den kleinen Körpern aus der Frühzeit des Sonnensystems wie Hayabusa-2 , um die Modelle zu bestätigen, zu ergänzen oder – bei entsprechenden Beobachtungen – sie auch zu widerlegen.“

Bereits im Sommer 2019 hatten Ergebnisse des deutsch-französischen Landers Mascot gezeigt, dass es an der Landestelle auf Ryugu ausschließlich größere Brocken gab, die hochporös und fragil sind. „Insgesamt sehen wir in den nun veröffent­lichten Ergeb­nissen eine schöne Bestätigung der Resultate des DLR-Radiometers Mara auf Mascot“, freut sich Matthias Grott als wissen­schaftlicher Leiter von Mara. „Es konnte jetzt gezeigt werden, dass der von Mara analysierte Gesteins­brocken typisch für die gesamte Oberfläche des Asteroiden ist. Damit bestätigt sich auch, dass Bruchstücke der häufigen C-Typ Asteroiden wie Ryugu durch geringen inneren Zusammenhalt beim Eintritt in die Erdatmosphäre wahr­scheinlich leicht fragmentieren und tendenziell die Atmosphäre schwerer bis hinunter zur Erdoberfläche durchdringen als andere Asteroiden­typen aus kompakterem Material.“

Am 3. Oktober 2018 war Mascot im freien Fall mit Schrittgeschwindigkeit auf Ryugu gelandet und hüpfte mehrere Meter weiter, ehe das rund zehn Kilogramm schwere Experimentpaket zur Ruhe kam. Auf der Oberfläche bewegte sich Mascot mit Hilfe eines rotierenden Schwungarms fort. So konnte die Sonde auf die „richtige“ Seite gedreht werden und wegen der geringen Anziehungs­kraft von Ryugu sogar Sprünge auf der Asteroidenoberfläche vollführen. Insgesamt war Mascot rund 17 Stunden auf Ryugu aktiv. Aus dem Orbit kartierte Hayabusa-2 den Asteroiden in hoher Auflösung und nahm an zwei Landestellen Proben des urtümlichen Körpers auf, die derzeit in einem Transport­behälter versiegelt mit der Sonde zurück zur Erde reisen. Die Kapsel mit den Proben soll Ende 2020 in Australien landen.

Bisher gehen die Forscher davon aus, dass das Material von Ryugu chemisch etwa dem der chondritischen Meteorite entspricht, die auch auf der Erde gefunden werden. Chondren sind kleine, millimetergroße Gesteins­kügelchen, die sich im solaren Urnebel vor 4,5 Milliarden Jahren gebildet haben und als Urbausteine der Planeten­entstehung gelten. Bisher können die Forscher allerdings nicht ausschließen, dass es sich um kohlenstoffreiches Material handelt, wie es auch auf dem Kometen 67P/Churymov-Gerasimenko im Rahmen der Esa-Mission Rosetta mit dem vom DLR gesteuerten Lander Philae gefunden wurde. Zu dieser Frage wird die Analyse der Proben von Ryugu , die auch am DLR stattfinden, mit Spannung erwartet. „Genau für diese Aufgabe – und natürlich für weitere zukünftige Missionen, bei denen extra­terrestrische Proben zur Erde gebracht werden wie beispiels­weise MMX – haben wir am DLR-Institut für Planetenforschung in Berlin im letzten Jahr mit dem Aufbau des Sample Analysis Labors (SAL) begonnen“, sagt Jörn Helbert. Im Rahmen der japanischen Mission Martian Moons eXploration (MMX) an der sich das DLR beteiligt, ist geplant, 2024 zu den Marsmonden Phobos und Deimos zu fliegen und 2029 Proben von den asteroiden­großen Monden zur Erde zu bringen. Teil der Mission MMX wird auch ein mobiler deutsch-französischer Rover sein.

DLR / JOL

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