Scandium tickt präziser als Cäsium
Röntgenlaser weist Weg zu einer genaueren Atomkernuhr.
Einem internationalen Forschungsteam ist ein entscheidender Schritt zu einer neuen Generation von Atomuhren gelungen. Am europäischen Röntgenlaser European XFEL haben die Forscherinnen und Forscher auf Basis des Elements Scandium einen wesentlich exakteren Taktgeber erzeugt, der eine Genauigkeit von einer Sekunde in 300 Milliarden Jahren ermöglicht – das ist rund tausendmal präziser als die Standard-Atomuhr auf Cäsium-Basis.
Als Taktgeber nutzen Atomuhren bislang Elektronen in der Atomhülle chemischer Elemente, zum Beispiel Cäsium. Diese lassen sich mit Mikrowellen einer bekannten Frequenz auf ein höheres Energieniveau anheben. Dabei absorbieren sie die Mikrowellenstrahlung. Eine Atomuhr bestrahlt Cäsiumatome mit Mikrowellen und regelt die Frequenz der Strahlung so, dass die Mikrowellen möglichst stark absorbiert werden. Der Quarzoszillator, der die Mikrowellen erzeugt, lässt sich mit Hilfe der Resonanz so stabil halten, dass Cäsium-Uhren in 300 Millionen Jahren auf eine Sekunde genau gehen. Ausschlaggebend für die Genauigkeit einer Atomuhr ist die Breite der verwendeten Resonanz. Aktuelle Cäsium-Atomuhren verwenden bereits eine sehr schmale Resonanz, eine höhere Genauigkeit erreichen Strontium-Atomuhren mit nur einer Sekunde auf fünfzehn Milliarden Jahren. Eine weitere Verbesserung lässt sich mit der Anregung von Elektronen praktisch nicht mehr erzielen.
Bereits seit einigen Jahren arbeiten Teams weltweit daher an einer Atomkernuhr, die Übergänge im Atomkern statt in der Atomhülle als Taktgeber nutzt. Diese Kernresonanzen sind deutlich schärfer als die Resonanzen von Elektronen in der Atomhülle, aber auch deutlich schwieriger anzuregen. Am European XFEL konnte das Team nun einen Übergang im Kern des Elements Scandium, das als hochreine Metallfolie oder Scandiumdioxid leicht erhältlich ist, als vielversprechenden Kandidaten anregen. Diese Resonanz erfordert Röntgenstrahlung mit einer Energie von 12,4 Kilo-Elektronenvolt und hat eine Breite von nur 1,4 femto-Elektronenvolt. Damit ist eine Genauigkeit von 1:10 000 000 000 000 000 000 möglich. „Das entspricht einer Sekunde in 300 Milliarden Jahren“, sagt Desy-Forscher Ralf Röhlsberger, der am Helmholtz-Institut Jena arbeitet.
„Das wissenschaftliche Potenzial der Scandium-Resonanz wurde bereits vor mehr als dreißig Jahren erkannt“, berichtet der Projektleiter des Experiments, Yuri Shvyd'ko vom Argonne National Laboratory. „Bislang war jedoch keine Röntgenquelle verfügbar, die innerhalb der 1,4 feV schmalen Linie von Scandium hell genug leuchtet“, sagt Anders Madsen, leitender Wissenschaftler an der MID-Experimentierstation am European XFEL, wo das Experiment durchgeführt wurde. „Das änderte sich erst mit Röntgenlasern wie dem European XFEL.“ In dem bahnbrechenden Experiment bestrahlte das Team eine 0,025 Millimeter dünne Scandiumfolie mit Röntgenlaserlicht und konnte ein charakteristisches Nachleuchten detektieren, welches von den angeregten Atomkernen ausgesendet wurde und ein eindeutiger Nachweis der extrem schmalen Resonanzlinie des Scandium ist.
Wichtig für den Bau von Atomuhren ist auch die exakte Kenntnis der Resonanzenergie. Durch eine ausgeklügelte extreme Rauschunterdrückung und hochauflösende Kristalloptiken ließ sich in den Versuchen der Wert der Scandium-Resonanzenergie mit 12,38959 keV bis auf die fünfte Stelle hinter dem Komma bestimmen, das ist 250-fach genauer als bisher. „Die genaue Bestimmung der Übergangsenergie ist ein bedeutender Fortschritt“, betont der Leiter der Datenanalyse, Jörg Evers vom Max-Planck-Institut für Kernphysik in Heidelberg. „Die exakte Kenntnis dieser Energie ist von enormer Bedeutung für die Realisierung einer Atomuhr auf der Basis von Scandium.“ Die Forscherinnen und Forscher erkunden nun weitere Schritte zur Verwirklichung einer solchen Atomkernuhr.
„Der Durchbruch bei der Resonanzanregung von Scandium und der präzisen Messung ihrer Energie eröffnet nicht nur neue Möglichkeiten für Atomkernuhren, sondern auch in der Ultrapräzisionsspektroskopie und für die Präzisionsmessung von fundamentalen physikalischen Effekten“, erläutert Shvyd'ko. Dazu ergänzt Olga Kocharovskaya von der Texas A&M University in den USA, Initiatorin und Leiterin des Projekts, welches von der National Science Foundation der USA gefördert wurde: „Eine solch hohe Genauigkeit könnte beispielsweise ermöglichen, die gravitative Zeitdilatation auf Entfernungen im Submillimeterbereich zu untersuchen. Dies würde Studien über relativistische Effekte auf Längenskalen ermöglichen, die bisher unzugänglich waren.“
DESY / JOL