14.11.2017

Schallkäfig für Elektronen

Stehende Schallwellen erzeugen auf piezo­elektrischen Ober­flächen elektrische Potentiale.

Ausschlag­gebend für die Eigen­schaften moderner, techno­logisch rele­vanter Materialien ist das korre­lierte Verhalten der Elektronen in ihrem Innern. Ein besseres Verständnis davon ist nur möglich, wenn es gelingt, diese Teilchen kontrol­liert einzufangen, entweder einzeln und isoliert, oder als Viel­teilchen­system in einer Festkörper­umgebung. Wegen ihrer im Vergleich zu Atomen extrem kleinen Masse sind die punkt­förmigen Teilchen aber sehr flink und wendig und lassen sich deshalb nur schwer an einem Ort festhalten. Nun hat ein inter­nationales Wissen­schaftlerteam um Ignacio Cirac vom Max-Planck-Institut für Quanten­optik in Garching und Mikhail Lukin von der Harvard Univer­sity eine neue Methode ausge­arbeitet, eine Art Käfig für Elektronen zu bauen. Danach erzeugen Schall­wellen auf piezo­elektrischen Ober­flächen elektrische Poten­tiale, mit deren Hilfe Elek­tronen verschoben oder auch einge­fangen werden können. Mit stehenden Schall­wellen lassen sich darüber hinaus Gitter­strukturen ähnlich denen von optischen Gittern für neutrale Atome erzeugen.

Abb.: Konzept eines Schallkäfigs für Elektronen: In einem piezoelektrischen Material (PE) erzeugen stehende Oberflächen-Schallwellen ein zeitabhängiges elektrisches Potential, das auf ein zweidimensionales Elektronengas (DEG) wirkt. (Bild: MPQ / APS)

Die Arbeit liefert einen allge­meinen theo­retischen Rahmen sowie Richt­linien für eine experi­mentelle Reali­sierung des Konzepts. Dazu untersuchen die Wissen­schaftler im Detail die Eignung bestimmter, aus Schichten aufge­bauter Halbleiter­strukturen als experi­mentelle Plattform. Der vorge­schlagene Aufbau ist von funda­mentalem Interesse für die kontrol­lierte Unter­suchung von in Festkörper­systemen auftre­tenden Quasi­teilchen. Er stellt aber auch eine neue Möglichkeit für die Quanten­simulation von Festkörper-Viel­teilchen­systemen dar mit der Aussicht, in bislang unbe­kannte Parameter­bereiche vorzu­stoßen, dank der extrem kleinen Teilchen­massen, der system­eigenen Elektron-Phonon-Kühlung und den starken Wechsel­wirkungen zwischen den Teilchen.

Basis­element in diesem Konzept ist eine aus verschie­denen Schichten gebildete Festkörper­struktur: auf einem Substrat ist zunächst ein dünner, praktisch zwei­dimensionaler Film aus einem halb­leitenden Material, etwa Gallium­arsenid, aufge­tragen. Darauf befindet sich eine Schicht aus einem piezo­elektrischen Material, auf dessen Ober­fläche zwei „Inter­digital Trans­ducer“ (IDT) aufgeprägt sind. Die aus jeweils zwei dünnen Film­elektroden beste­henden IDTs erzeugen entgegen gesetzt laufende Oberflächen­wellen. Diese Wellen rufen ein zeitab­hängiges perio­disches elek­trisches Potential hervor, das wiederum auf die in dem dünnen Halbleiter­film gefangenen Elektronen wirkt. Die Tiefe und der Gitter­abstand des Poten­tials werden durch die an den IDTs angelegte Spannung gesteuert.

Solche Oberflächen­wellen wurden bereits erfolg­reich eingesetzt, um die Position einzelner Elektronen zu verändern, oder um Elektronen die wenigen Nano­sekunden lang festzu­halten, während der sich die Schall­wellen auf der Ober­fläche ausbreiten. Der neue Ansatz schlägt jedoch ein quasi-sta­tionäres Fallen­potential vor. „Wenn die Frequenz der Schall­wellen hoch genug ist, können die Elektronen der schnell oszil­lierenden Kraft nicht mehr folgen“, erklärt Johannes Knörzer, Doktorand in der Cirac-Arbeits­gruppe. „Die Potential­landschaft kann dann als ein effektiv zeitun­abhängiges Pseudo­gitter beschrieben werden, das die Elektronen in der Nähe eines lokalen Minimums festhält.“

Ein Schwer­punkt der Arbeit ist die detail­lierte Beschreibung der Bedin­gungen, unter denen einzelne Teilchen in von Schall­wellen erzeugten elek­trischen Poten­tialen dynamisch einge­fangen und gekühlt werden können. „Die Rechnungen impli­zieren, dass sehr tiefe Tempera­turen erfor­derlich sind. In gewisser Weise erinnert die theo­retische Behandlung des Systems an die von Ionen-Fallen“, erläutert Knörzer. Der andere Schwerpunkt ist die Simu­lation von Quanten-Viel­teilchen­systemen durch ein System aus Elektronen in einem akus­tischen Gitter. „Die Dynamik von Elektronen in einem akus­tischen Gitter hat große Ähnlichkeit mit dem Verhalten von fermio­nischen ultra­kalten Atomen in optischen Gittern; beides wird vom Fermi-Hubbard Modell erfasst“, fügt Knörzer hinzu.

Das Team analysiert die Machbar­keit des Konzepts für unter­schiedliche Hetero­strukturen, in denen sich hoch­frequente Schall­wellen schnell ausbreiten können. Die Über­legungen gelten nicht nur für Elektronen, sondern auch für Quasi­teilchen wie Exzitonen oder Löcher, die in modernen Mate­rialien auftreten. „Wir haben den starken Wunsch, ein tieferes Ver­ständnis von den Eigen­schaften und Wechsel­wirkungen dieser Teilchen zu gewinnen. Das ist unsere Motivation, einen Kontroll­mechanismus zu finden, der die Allge­meinheit und Flexi­bilität der optischen Gitter auf Festkörper­systeme überträgt“, sagt Ignacio Cirac. „Unser höchstes Ziel ist es, das Verhalten korre­lierter Elek­tronen in techno­logisch rele­vanten Mate­rialien und Molekülen zu verstehen. Das würde den Weg ebnen, einen uni­versellen Quanten­simulator zu bauen.“

MPQ / JOL

ContentAd

Kleinste auf dem Markt erhältliche Hochleistungs-Turbopumpe
ANZEIGE

Kleinste auf dem Markt erhältliche Hochleistungs-Turbopumpe

Die HiPace 10 Neo ist ein effizienter, kompakter Allrounder für den Prüfalltag, der geräuscharm und besonders energieeffizient ist.

Sonderhefte

Physics' Best und Best of
Sonderausgaben

Physics' Best und Best of

Die Sonder­ausgaben präsentieren kompakt und übersichtlich neue Produkt­informationen und ihre Anwendungen und bieten für Nutzer wie Unternehmen ein zusätzliches Forum.

Meist gelesen

Themen