Schallknall einer Kilonova
Kollidierende Neutronensterne senden Gravitationswellen und elektromagnetische Strahlung aus.
Ein internationales Forschungsteam hat möglicherweise den Schallknall einer Kilonova entdeckt. So bezeichnet man die gewaltige Explosion, die entsteht, wenn zwei Neutronensterne miteinander kollidieren. Die Kilonova GW170817 im Sternbild Hydra ist das erste Objekt überhaupt, bei dem sowohl Gravitationswellen als auch elektromagnetische Strahlung gemessen werden konnten. Seinen Namen trägt GW170817, weil es am 17. August 2017 entdeckt wurde: Die Laser-Interferometer Ligo in den USA und Virgo in Italien haben an diesem Tag die Gravitationswellen registriert, die mit einem Ausbruch von Gammastrahlen zusammenfielen.
Seitdem haben Astronomen Teleskope auf der ganzen Welt und im Weltraum auf GW170817 gerichtet und untersuchen seine Strahlung im gesamten elektromagnetischen Spektrum. Chandra ist dabei das einzige Observatorium, das mehr als vier Jahre nach dem Ereignis immer noch Strahlung registrieren kann, die von dieser außergewöhnlichen kosmischen Kollision stammt. „Die unmittelbaren Folgen einer Neutronensternverschmelzung untersuchen zu können, ist absolutes Neuland“, sagt Aprajita Hajela von der Northwestern University, die die aktuelle Studie von GW170817 mit Chandra geleitet hat.
Bisher gehen Astronomen davon aus, dass nach der Verschmelzung von Neutronensternen deren Trümmer sichtbares und infrarotes Licht abstrahlen, das beim Zerfall radioaktiver Elemente entsteht. Dieser Lichtausbruch wird als Kilonova bezeichnet. Im Fall von GW170817 konnten tatsächlich auch sichtbares Licht und Infrarotstrahlung mehrere Stunden nach den Gravitationswellen entdeckt werden. Im Röntgenspektrum sah die Neutronensternverschmelzung allerdings ganz anders aus: Unmittelbar nach der Entdeckung von GW170817 richtete Chandra seinen Blick auf das Objekt und registrierte – nichts. Erst mehrere Tage später, am 26. August 2017, konnte Chandra GW170817 als punktförmige Röntgenstrahlungsquelle ausmachen.
Diesen Umstand erklären die Forschenden damit, dass die verschmolzenen Neutronensterne einen schmalen Jet aus hochenergetischen Teilchen abstrahlen, der nicht direkt auf die Erde ausgerichtet ist. Sie vermuten, dass Chandra den schmalen Jet ursprünglich von der Seite beobachtete und daher unmittelbar nach der Entdeckung der Gravitationswellen noch keine Röntgenstrahlen sah. Im Laufe der Zeit verlangsamte sich jedoch das abgestrahlte Material und der Jet-Kegel verbreiterte sich, da er auf umgebende Materie prallte. Dies führte dazu, dass sich der Kegel des Jets immer mehr in die direkte Sichtlinie von Chandra ausdehnte und so die Röntgenstrahlung gemessen werden konnte.
Seit Anfang 2018 wurde die von dem Jet verursachte Röntgenstrahlung immer schwächer, da sich der Jet weiter verlangsamte und ausdehnte. Hajela und ihr Team stellten dann jedoch fest, dass der Helligkeitsrückgang ab März 2020 bis Ende 2020 stoppte und die Strahlung in diesem Zeitraum konstant blieb. „Etwas anderes als der Jet selbst muss dafür verantwortlich sein", sagt Raffaella Margutti von der University of California in Berkeley. Eine mögliche Erklärung für diese neue Röntgenstrahlungsquelle war, dass die sich ausdehnenden Trümmer der Verschmelzung einen Schock erzeugt haben, ähnlich dem Überschallknall eines Überschallflugzeugs. Dieser Schock erhitzt Material, das selbst Strahlung erzeugt und als Kilonova-Nachglühen bezeichnet wird.
Eine alternative Erklärung wäre, dass die zusätzlichen Röntgenstrahlen von Material stammen, das in ein schwarzes Loch fällt, welches sich nach der Verschmelzung der Neutronensterne gebildet haben müsste. „Dies wäre entweder das erste Mal, dass wir ein Kilonova-Nachglühen sehen oder das erste Mal, dass wir Material sehen, das nach einer Neutronensternverschmelzung auf ein schwarzes Loch fällt“, sagt Joe Bright, ebenfalls von der University of California in Berkeley.
Um zu ermitteln, welche der beiden Erklärungen zutreffend ist, müssen die Astronomen GW170817 weiterhin beobachten und neben den Röntgenstrahlen auch mögliche Radiowellen messen. Wenn es sich um ein Kilonova-Nachglühen handelt, wird die Radioemission voraussichtlich mit der Zeit heller werden. Handelt es sich dagegen um Materie, die auf ein neu entstandenes schwarzes Loch fällt, dann sollte die Röntgenstrahlung konstant bleiben oder schnell abnehmen und es wird keine Radioemission auftreten.
Hier kommen nun Sebastiano Bernuzzi und Vsevolod Nedora von der Universität Jena ins Spiel. Sie haben die Massenausflüsse, von denen das Kilonova-Signal ausgeht, in einem großen Satz von Simulationen, die speziell auf GW170817 ausgerichtet sind und neueste mikrophysikalische Modelle beinhalten, analysiert. Sie berechneten das zu erwartete Kilonova-Nachleuchten und konnten eine Übereinstimmung mit den Chandra-Beobachtungen feststellen. „Die enge Zusammenarbeit von astronomisch und theoretisch arbeitenden Teammitgliedern war der Schlüssel zur Identifizierung der möglichen Szenarien für den Ursprung der späten Röntgenemission von GW170817“, sagt Sebastiano Bernuzzi.
Dennoch ist weitere Forschung und Beobachtung von GW170817 notwendig und könnte laut Kate Alexander von der Northwestern University weitreichende neue Erkenntnisse liefern. „Der Nachweis eines Kilonova-Nachleuchtens würde bedeuten, dass bei der Verschmelzung nicht sofort ein schwarzes Loch entstanden ist. Alternativ könnte dieses Objekt den Astronomen die Möglichkeit bieten, zu untersuchen, wie Materie einige Jahre nach der Entstehung eines schwarzen Lochs auf dieses fällt." Kürzlich ist bei neuen Chandra-Beobachtungen weitere Strahlung entdeckt worden, Radiowellen in Verbindung mit der aufkommenden Röntgenstrahlung sind bisher aber nicht gemessen worden.
U. Jena / JOL