Schlichterspruch aus dem Laserlabor
Neue Methode gibt Antworten auf jahrzehntelangen Streit über elektrische Isolatoren.
Beim experimentellen Nachweis einer Reihe von Isolatoren versagten bislang herkömmliche Messverfahren. „Über viele Jahre drehten sich die Diskussionen unter Fachleuten über einige Isolatoren im Kreis“, sagt Projektleiter Kai Roßnagel vom Institut für Experimentelle und Angewandte Physik der CAU. Mit der aktuellen Studie, so Roßnagel, habe man einen ganz neuen Weg gefunden, das Isolationsverhalten von Materialien experimentell und objektiv zu klassifizieren.
Abb.: Die bei der Isolatorklassifikation untersuchten Kristalle stellte das Forschungsteam in der Kristallzucht im Kieler Labor her. (Bild: CAU, Maack)
Das Physiker-Team nutzte für die Methode einen besonderen Effekt: Manche elektrischen Leiter werden bei starker Abkühlung zu Isolatoren. Damit geht einher, dass sich ihr elektrischer Zustand ändert, also bestimmte Eigenschaften der Elektronen des Materials. Wenn sich das Material wieder erwärmt, verändert sich auch der elektrische Zustand wieder. Wie schnell diese Veränderung von Isolator hin zum Leiter abläuft, erfassen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nun, um die unterschiedlichen Isolatorklassen zu unterscheiden.
Geradezu unfassbar sind die winzigen Zeitskalen, auf der die Forscherinnen und Forscher mit der Methode arbeiten: Für die Untersuchung wird ein Film aus vielen einzelnen Bildern erzeugt, die mit einer Laserkamera im Abstand von Femtosekunden geschossen werden. Zum Vergleich: Würde man eine Sekunde lang jede Femtosekunde ein Bild aufnehmen, hätte man am Ende eine Billiarde Einzelbilder. Eine herkömmliche Filmkamera erzeugt pro Sekunde nur 24 Einzelbilder. „Bei einigen Isolatoren dauert die im Film sichtbare Veränderung der elektrischen Eigenschaften etwa ein bis fünfzig Femtosekunden, bei anderen dauert sie 100 bis 200 Femtosekunden“, erläutert Roßnagel. Auf diese Weise lassen sich zwei unterschiedliche Isolatorklassen voneinander unterscheiden.
Der in der Fachwelt heiß diskutierte Isolator Titandiselenid war eines der untersuchten Materialien. Das Team klassifizierte das Material nicht nur eindeutig, es wies sogar zum ersten Mal experimentell eine neue Isolatorklasse nach: den so genannten exzitonischen Isolator. „Wir denken, unsere Ergebnisse könnten die Diskussion um das Titandiselenid nach vier Jahrzehnten endlich beenden“, sagt Roßnagel. Doch wie immer in der Wissenschaft, so meint der Kieler Physiker, müsse man davon ausgehen, dass die neuen Ergebnisse von der Fachwelt nicht ohne Widerspruch aufgenommen würden. „Ob ein neues wissenschaftliches Ergebnis tatsächlich Bestand hat, stellt sich stets erst nach Jahren der Gegenproben heraus.“
Abb.: Lasersystem zur Erzeugung der ultrakurzen Röntgenpulse, mit denen die Filmaufnahmen im Experiment gemacht werden (Bild: CAU, Rohwer et al.)
Die für die neue Klassifikationsmethode eingesetzte Kameratechnik hatte das Forscherteam im März 2011 vorgestellt und in der nun erschienenen Studie erstmals systematisch eingesetzt. Die Technik heißt „Femtosekunden-zeitaufgelöste Photoelektronen-Spektroskopie mit extremer Ultraviolettstrahlung“. Die aktuelle Studie entstand im Schwerpunkt Kieler Oberflächen- und Nanowissenschaften, einem von vier Forschungsschwerpunkten der CAU. Finanziert wurde sie auf deutscher Seite durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung.
CAU / OD