17.03.2016

Schneller, präziser, vielseitiger

Neue Hochgeschwindigkeits-Röntgenkamera liefert erste wissenschaftliche Ergebnisse.

Ein vorbildliches Beispiel, wie Grundlagenforschung einen handfesten Beitrag zur Wirtschaft leistet, ist die Schweizer Firma DECTRIS in Baden-Dättwil – ein erfolg­reiches Spin-off des Paul-Scherrer-Instituts PSI. Der Detektor, der vor rund zehn Jahren das Gründungs­produkt der Firma war, entstand im Zuge der Suche nach dem Higgs-Teilchen. Nun ist die neueste Entwicklung von DECTRIS auf dem Markt: Ein besonders präziser Detektor namens EIGER, der bei Röntgen­strahl-Messungen an großen Forschungs­anlagen eingesetzt wird. Seit Herbst 2015 bewährt sich das neueste Modell der EIGER-Serie an der Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS. In diesen Tagen schreiben die Forscher die ersten wissen­schaftlichen Veröffentlichungen über Experimente, die mit dem neuen Detektor durchgeführt wurden.

Abb.: Der EIGER X 16M an der sogenannten PXI-Strahllinie der Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS am PSI (Bild: PSI / M. Fischer)

EIGER hilft, Proteinmoleküle besser und genauer als zuvor zu vermessen. Das wiederum ist von hohem Interesse bei der Entwicklung neuer Medikamente. Womöglich lassen sich so einige dringend benötigte Alternativen zu Antibiotika finden. Es handelt sich um eine Art Hoch­geschwindigkeits­kamera für Röntgenstrahlung.

Die EIGER-Serie setzt in Sachen Detektor­entwicklung neue Maßstäbe. Die Besonderheiten dieser Detektoren sind sowohl eine hohe Anzahl Bildpixel sowie eine enorm schnelle Bild­verarbeitung. So kann die schnellste EIGER-Variante bis zu 3000 Bilder pro Sekunde aufnehmen. Damit generiert der Detektor in jeder Sekunde etwa die Datenmenge, die auf eine DVD passt. Die EIGER-Variante mit den meisten Pixeln, 16 Millionen an der Zahl, heißt entsprechend EIGER X 16M. Im Kristallo­grafie-Labor der Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS am PSI ging am 14. Oktober 2015 der allererste EIGER X 16M in Betrieb.

Alles begann Mitte der 1990er Jahre: Das PSI erhielt die Aufgabe, für das CERN und dessen Suche nach dem – mittlerweile gefundenen – Higgs-Teilchen einen neuen Typ Teilchen­detektor zu entwickeln. Der am PSI tätige Physiker Roland Horisberger machte sich ans Werk. Gemeinsam mit seinen Mitarbeitern entwickelte er im Laufe von zwölf Jahren einen neuartigen Pixel-Detektor, der den hohen Teilchen­zahlen am CERN gerecht wurde. Sie passten den neuen Detektor­typ so an, dass er nicht Teilchen, sondern die Röntgen­strahlung der Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS einfangen konnte.

Den so entstandenen Röntgendetektor nannten die Forschenden PILATUS. „Die Entwicklung des PILATUS war eine riesige Chance für das PSI und ergänzte die damals ganz junge SLS perfekt“, so Bernd Schmitt, der heute Leiter der Forschungs­gruppe für Detektor­entwicklung an der SLS ist. Noch bevor die Ursprungs­version des Detektors am CERN ihren Dienst aufnahm, lieferten PILATUS-Detektoren am PSI bereits wertvolle Daten. Um ein vermarkt­bares Produkt daraus zu machen, gründeten die PSI-Entwickler im Jahr 2006 die Firma DECTRIS als Spin-off des PSI. Seit den Anfängen mit lediglich einer Handvoll Mitarbeitenden ist DECTRIS inzwischen ein Unternehmen mit rund achtzig Angestellten geworden.

DECTRIS arbeitet bis heute eng mit dem PSI zusammen. Auch der Mikrochip, der das Herzstück des EIGER-Detektors bildet, wurde ursprünglich am PSI entwickelt – ebenfalls von den Forschern um Roland Horisberger. „DECTRIS hat auf dieser Basis innerhalb von nur wenigen Jahren den kompletten Detektor hervorgebracht“, so Horisberger anerkennend.

Im Kristallografie-Labor bestimmen Wissenschaftler des PSI, Gastwissenschaftler und nicht zuletzt Forschende aus der Industrie die Struktur verschiedenster Proteine. Unter anderem ist die Pharmaindustrie an der Struktur entscheidender Proteine interessiert, um Medikamente entwickeln zu können, die maßgeschneidert nur auf diese ganz spezifischen Proteine einwirken. Eine jüngst anvisierte Strategie besteht beispielsweise darin, ein Protein zu hemmen, das die DNA von Bakterien vervielfacht. Dieses bakterielle Protein ähnelt dem entsprechenden menschlichen Protein zwar stark. Doch wenn der feine Unterschied im Detail bekannt ist, lässt sich womöglich ein Präparat entwickeln, das nur die bakteriellen Proteine angreift.

Allerdings ist die exakte Struktur der Proteine wegen ihrer Komplexität sehr schwer zu bestimmen. Ein übliches Verfahren ist die Röntgen­strahl-Kristallo­grafie. Hierfür werden zunächst aus vielen Exemplaren eines Proteins mikrometer­kleine Kristalle gezüchtet. Diese lassen sich dann mit einem sehr feinen und sehr intensiven Röntgenstrahl untersuchen. Einen solchen Strahl liefern weltweit nur wenige Anlagen, darunter die SLS. Mit dieser Methode lässt sich auf die Anordnung der Atome und somit auf die Struktur des untersuchten Proteins schließen. An der SLS konnten Forscher in den vergangenen zehn Jahren die Struktur von rund 4000 verschiedenen Proteinen entschlüsseln. Damit zählt die SLS weltweit zu den produktivsten Anlagen dieser Art.

Doch schon das Kristallwachstum birgt Tücken. „Oft müssen Hunderte von Kristallen gezüchtet und untersucht werden, um darunter einen zu haben, der in der Röntgen­strahl­beugung ein scharfes und somit brauchbares Bild liefert“, erklärt Vincent Olieric, Wissenschaftler im Kristallo­grafie-Labor an der SLS. Um all diese Kristalle in vertretbarer Zeit vermessen zu können, muss erstens der Wechsel zwischen den einzelnen Proben sehr schnell gehen. „Per Hand würde das viel zu lange dauern“, erklärt Olieric: „Daher wechselt bei uns ein Roboterarm einen Kristall gegen den nächsten aus – und zwar in unter einer Minute.“

Zweitens muss die Messzeit jeder einzelnen Probe kurz sein. Hier profitieren die Forschenden von der extrem schnellen Bild­verarbeitung des EIGER. „Die komplette Messung jedes einzelnen Kristalls dauert nur wenige Minuten“, sagt Olieric. So bietet die Schnelligkeit des EIGER eine reale Chance, den einen brauchbaren Kristall unter vielen zu finden.

PSI / DE

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