Schrödinger-Katze als Elektrometer
Mit einzelnen Rydberg-Atomen können Mikrowellenfelder extrem genau gemessen werden.
Der Nobelpreisträger Serge Haroche und seine Kollegen haben ein Elektrometer vorgestellt, das aus einem einzelnen Atom besteht und die elektrische Feldstärke von Mikrowellen sehr präzise messen kann. Dazu befindet sich das Atom in einem Schrödinger-Katzenzustand.
Abb.: Die Messsignale für zwei geringfügig verschiedene elektrische Felder (rot & schwarz), aufgenommen mit einem Rydberg-Atom in einem „klassischen“ Zustand (oben) und in einem „nichtklassischen“ Schrödinger-Katzenzustand (unten). Die für den „nichtklassischen“ Zustand auftretenden Interferenzen ergeben eine wesentlich höhere Messgenauigkeit. (Bild: A. Bacon et al. / NPG)
Während man mit geeignet präparierten Quantensystemen Frequenzen, Magnetfelder und Beschleunigungen sehr präzise messen kann, sind bei der Messung elektrischer Feldstärken die Möglichkeiten der Quantenphysik noch längst nicht ausgereizt. Zwar hat die Gruppe von Tilman Pfau 2012 mit einer Wolke von Rubidium-Atomen in Rydberg-Zuständen eine Messempfindlichkeit von nur 30 µV cm-1 Hz-1/2 erreicht. Mit Atomen in „nichtklassischen“ Zuständen wie Schrödinger-Katzenzuständen könnte man indes noch deutlich bessere Empfindlichkeiten erzielen.
Das zeigt jetzt ein Experiment, das Forscher um Adrien Facon und Serge Haroche am Laboratoire Kastler Brossel mit einzelnen Rubidiumatomen durchgeführt haben. Zunächst brachten sie solch ein Atom durch Bestrahlung mit abgestimmtem Laserlicht in einen hochangeregten Rydberg-Zustand mit der Hauptquantenzahl n=50. Solch ein Rydberg-Atom wird von seinem äußersten Elektron in weitem Abstand umkreist, sodass es eine große elektrische Polarisierbarkeit besitzt und sehr empfindlich auf elektrische Felder reagiert.
Sobald sich das Rydberg-Atom in dem zu messenden elektrischen Feld befand, wurde die Entartung aller Zustände mit n=50 durch den Stark-Effekt aufgehoben. Es bildeten sich je nach der Magnetquantenzahl des Atoms Gruppen aus unterschiedlich vielen Zuständen, deren Energien leiterförmig angeordnet waren. Indem die Forscher von jeder dieser Leitern den Zustand mit der jeweils niedrigsten Energie auswählten, erhielten sie eine neue Zustandsleiter mit 50 äquidistanten Energieniveaus, die der Zustandsleiter eines fiktiven Drehimpulsoperators mit J=49/2 entsprach.
Die ausgewählten Zustände des einzelnen Rydberg-Atoms im elektrischen Feld verhielten sich demnach wie ein System aus 49 Spin-1/2-Objekten. Wie sich der Gesamtspin dieses Systems entwickelte, ließ sich anhand einer Bloch-Kugel veranschaulichen. Waren alle 49 Einzelspins im Zustand +1/2, so zeigte der Gesamtspins zum Nordpol der Bloch-Kugel. Wegen der quantenmechanischen Unschärfe des Spinzustands wurde der entsprechende Zustand des Rydberg-Atoms nicht durch einen Punkt auf der Bloch-Kugel repräsentiert sondern durch einen kreisförmigen Fleck mit einem Radius proportional J-1/2 (d. h. proportional 1/2).
Mit einem Radiofrequenzpuls wurde das Atom aus dem anfänglichen Nordpolzustand in einen Zustand gebracht, bei dem sein Gesamtspin zum Äquator der Bloch-Kugel zeigte. Dann wirkte auf das Atom das Mikrowellenfeld, dessen Feldstärke gemessen werden sollte. Schließlich wurde mit einem erneuten Radiofrequenzpuls versucht, das Atom wieder in den Anfangszustand zu bringen, was aber wegen der Wirkung des Mikrowellenfeldes nicht völlig gelang. Mit einem Ionisationsdetektor wurde gemessen, ob sich das Atom wieder im Anfangszustand befand. Aus der gemessenen Rückkehrwahrscheinlichkeit ließ sich die Stärke des Mikrowellenfeldes mit einer bestimmten Messgenauigkeit ermitteln.
Diese Messgenauigkeit war jedoch wegen der quantenmechanischen Unschärfe des Spinzustands durch das Standardquantenlimit begrenzt. Doch tatsächlich lässt sich die Feldstärke genauer messen, indem man das Rydberg-Atom in einen „nichtklassischen“ Zustand bringt, für den der entsprechende Zustandsfleck auf der Bloch-Kugel nicht mehr kreisförmig ist, sondern zu einer Ellipse gequetscht wird. Wegen Heisenbergs Unschärfebeziehung hat diese Ellipse zwar dieselbe Fläche wie der ursprüngliche Kreis, doch ihr kleiner Durchmesser kann proportional zu 1/J (d. h. proportional ) gemacht werden. Entsprechend verringert sich die Messungenauigkeit für die Feldstärke.
Die große Kunst besteht nun darin, das Rydberg-Atom in solch einen „nichtklassischen“ Zustand zu bringen. Das ist Haroche und seinen Kollegen nun gelungen. Dazu haben sie das Atom, das sich zunächst für n=50 im Nordpolzustand befand, mit einem Mikrowellenpuls zu einer Schrödinger-Katze gemacht: Es war nun gleichzeitig im ursprünglichen Rydberg-Zustand mit n=50 und in einem merklich verschiedenen Referenzzustand mit n=51. Da das zu messende Feld sehr unterschiedlich auf diese beiden Teilzustände wirkte, ließ es sich viel genauer messen.
Auf diese Weise erreichten die Forscher ebenfalls eine Empfindlichkeit von 30 µV cm-1 Hz-1/2, wie zuvor schon die Pfau-Gruppe – allerdings mit einem einzelnen Atom. Damit ließe sich bei einer Messdauer von einer Sekunde ein einzelnes Elektron nachweisen, das 700 µm vom Atom entfernt ist. Durch einfache Verbesserungen ihres Experiments erwarten die französischen Forscher, die Empfindlichkeit sogar auf 3 µV cm-1 Hz-1/2, erhöhen zu können, was deutlich besser wäre als die Rekordempfindlichkeit von Einzelelektronentransistoren. Nachdem sie schon jetzt klar das Standardquantenlimit (1/2) unterschritten haben, wollen sie nun dem nicht zu unterbietenden „Heisenberg-Limit“ () so nahe wie möglich kommen.
Rainer Scharf
Weitere Infos
Weitere Beiträge
JOL