Schrödingers Katze leuchtet in der Makro-Welt
Einzelne Photonen mit makroskopisch unterscheidbaren Viel-Photonen-Zuständen verschränkt.
Mit seiner berüchtigten Katze wollte Erwin Schrödinger die scheinbar absurden Folgen illustrieren, die sich aus einer quantenmechanischen Verschränkung eines mikroskopischen und eines makroskopischen Systems ergeben – im konkreten Fall ein radioaktiver Atomkern und eine Katze. Dazu ruft ein teuflischer Mechanismus einen Quantenzustand hervor, bei dem der intakte Kern und die lebende Katze mit dem zerfallenen Kern und der toten Katze quantenmechanisch überlagert sind. Jetzt haben zwei Forscherteams unabhängig voneinander Schrödingers Gedankenexperiment mit Photonen verwirklicht.
Abb.: Ein einzelnes Photon geht am 50/50-Strahlteiler in einen verschränkten Zustand über; am asymmetrischen 90/10-Strahlteiler entsteht daraus eine Verschränkung zwischen einem Mikro- und einem Makrosystem; diese Verschränkung wird anschließend auf das einzelne Photon zurückübertragen und gemessen. (Bild: N. Bruno et al., NPG)
Sowohl die Forscher um Rob Thew und Nicolas Gisin von der Universität Genf als auch Alexander Lvovsky und seine Kollegen von der University of Calgary sind bei ihren Experimenten von folgender Idee ausgegangen. Fällt ein einzelnes Photon auf einen Strahlteiler, sodass es mit gleicher Wahrscheinlichkeit zu Alice (A) oder zu Bob (B) gelangen kann, so entsteht eine quantenmechanische Verschränkung aus Zuständen mit einem oder keinem Photon: |1>A|0>B + |0>A|1>B. Indem Bob aus den ihm zugänglichen Null- und Ein-Photon-Zuständen, also aus |0>B bzw. |1>B, unterscheidbare makroskopische Lichtfelder erzeugt, die den Katzenzuständen „tot“ und „lebendig“ entsprechen, stellt er gewissermaßen eine leuchtende Schrödinger-Katze her.
Zur Verwirklichung dieser Idee stellten beide Forscherteams zunächst einzelne, „angekündigte“ Photonen her. Dazu bestrahlten sie mit einem gepulsten Titan-Saphir-Laser einen periodisch gepolten Kristall (aus Lithiumniobat bzw. Kaliumtitanylphosphat), in dem daraufhin durch spontane parametrische Fluoreszenz Photonenpaare entstanden. Die beiden Photonen eines jeden Paares wurden durch einen Polarisationsstrahlteiler voneinander getrennt. Sobald ein Photodetektor das eine Photon registriert hatte, stand fest, dass das andere Photon sich auf dem Weg durch die Versuchsanordnung zu weiteren Detektoren befand. Sein Eintreffen war somit abzusehen.
Das angekündigte Photon fiel zunächst auf einen symmetrischen Strahlteiler, der für Alice und Bob den schon erwähnten Verschränkungszustand aus keinem und einem Photon herstellte. Um aus „seinem“ Null- bzw. Ein-Photon-Zustand makroskopisch unterscheidbare Lichtfelder zu machen, fügte Bob ihm über einen stark asymmetrischen Strahlteiler gepulste Laserstrahlung zu. Diese Strahlung bestand aus vielen Photonen, die identisch mit dem einzelnen angekündigten Photon waren. Dadurch wurde aus dem Zustand |0>B ein kohärenter Zustand |α>B, der keine festumrissene Photonenzahl hat, aber einem klassischen Lichtfeld entspricht. Dabei hing α von der Intensität der Laserstrahlung ab.
Abb.: Der „tote“ kohärente Zustand der leuchtenden Schrödinger-Katze zeigt eine deutlich kleinere Schwankung als die beiden unterschiedlichen Realisierungen des „lebendigen“ Vielphotonenzustands. (Bild: A. I. Lvovsky et al., NPG)
Aus dem Zustand |1>B machte die Laserstrahlung hingegen den Zustand |1+α>B, der sich vom kohärenten Zustand |α>B auf den ersten Blick nur um ein einzelnes Photon unterschied. Doch tatsächlich fiel der Unterschied durch das kohärente Zusammenwirken der vielen Photonen wesentlich stärker aus. Das zeigte sich, als Alexander Lvovsky und seine Kollegen die statistischen Schwankungen der Photonenzahl dieses Zustands maßen und mit den entsprechenden Schwankungen für den kohärenten Zustand verglichen.
Dazu ließen sie Alice nachschauen, ob sie das angekündigte Photon erhalten hatte oder nicht, ob also der Zustand |1>A bzw. |0>A vorlag. Entsprechend hatte Bob dann den Viel-Photonen-Zustand |α>B bzw. |1+α>B vorliegen, dessen Photonenzahl er daraufhin bestimmte. Indem die Forscher die Messungen der Photonenzahl vielfach wiederholten, konnten sie für beide Viel-Photonen-Zustände jeweils die Schwankung ermitteln. Während diese für den kohärenten Zustand bei α2 lag, was im Experiment etwa 1,6 × 108 Photonen entsprach, lag sie für den Zustand |1+α>B bei 1,35 α2. Ohne Photonenverluste hätte sie der Theorie zufolge sogar bei 3 α2 gelegen. Die beiden Zustände des Lichtfeldes, die sich je nach dem Ergebnis der von Alice durchgeführten Messung einstellten, zeigten somit einen makroskopischen Unterschied. Je nach dem von Alice erhaltenen Messergebnis war die leuchtende Schrödinger-Katze also tot oder lebendig.
Dass zwischen den Ein- und den Vielphotonenzuständen tatsächlich eine Verschränkung der Form |1>A|α>B + |0>A|1+α>B vorgelegen hatten, zeigten beide Forschergruppen, indem sie Bobs Viel-Photonen-Zustände schließlich wieder in Ein-Photonen-Zustände verwandelten. Dazu ließen sie Bobs Lichtfeld auf einen weiteren stark asymmetrischen Strahlteiler fallen, der so eingestellt war, dass er das Laserlicht auskoppelte und den ursprünglichen Zustand |0>B bzw. |1>B wieder herstellte. Solche lokalen Operationen können keine Verschränkung erzeugen. Deshalb musste die von den Forschern durch Zustandstomographie gemessene Verschränkung des schließlich vorliegenden Zustands auf die Verschränkung des Anfangszustandes zurückgehen. Diese Verschränkung hatte das zwischenzeitliche Vorliegen der Viel-Photonen-Zustände offenbar weitgehend unbeschadet überstanden.
Rainer Scharf
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