Schwache Ladung des Protons genau gemessen
Streuexperiment nutzt Paritätsverletzung der schwachen Wechselwirkung.
Das Proton unterliegt der elektromagnetischen wie auch der schwachen Wechselwirkung, die verantwortlich ist für den Betazerfall eines Neutrons in ein Proton, ein Elektron und ein Antineutrino. Deshalb besitzt das Proton neben seiner elektrischen Ladung auch eine schwache Ladung. Sie spielt etwa bei der Kollision eines Elektrons mit einem Proton eine Rolle. Dabei tauschen das Elektron und das Proton virtuelle Photonen und Z0-Bosonen aus. Die Photonen koppeln an die elektrischen Ladungen der Kollisionspartner und die Z0-Bosonen an deren schwache Ladungen.
Abb.: Die Streuung eines „rechtshändigen“ Elektrons (li. o.) an einem Proton (re.) verläuft anders als der gespiegelte Vorgang (li. u.), da die schwache Wechselwirkung Z0 die Parität oder Spiegelsymmetrie verletzt. Sie lenkt das „linkshändige“ und das „rechtshändige“ Elektron in dieselbe Richtung, während die elektromagnetische Wechselwirkung γ sie in spiegelsymmetrische Richtungen ablenkt. (Bild: The Jefferson Lab Qweak Collaboration, NPG)
Allerdings ist die schwache Wechselwirkung viel schwächer als die elektromagnetische, sodass die schwache Ladung sich normalerweise nicht bemerkbar macht. Zudem hat die elektromagnetische Wechselwirkung eine unendlich große Reichweite, während die schwache Wechselwirkung kaum über das Proton hinausreicht. Dennoch tritt der Einfluss der schwachen Wechselwirkung unter bestimmten Bedingungen deutlich zu Tage, sodass man die schwache Ladung sehr genau messen kann, wie jetzt die Jefferson Lab Qweak Collaboration gezeigt hat.
Dabei nutzten die Forscher aus, dass die schwache Wechselwirkung im Gegensatz zur elektromagnetischen die Paritätserhaltung verletzt. Das heißt, dass bei bestimmten durch die schwache Wechselwirkung verursachten Prozessen das Spiegelbild eines beobachteten Vorgangs nicht auftreten kann. So sind die beim Betazerfall entstehenden Antineutrinos stets „rechtshändig“, also Flugrichtung und Spin erfüllen die Rechte-Hand-Regel und zeigen in dieselbe Richtung, während sie im gespiegelten Experiment „linkshändig“ wären.
Bei ihren Experimenten haben die Forscher einen Tank gefüllt mit flüssigem Wasserstoff mit spinpolarisierten Elektronen beschossen, die von der Continuous Electron Beam Accelerator Facility (CEBAF) am Jefferson Lab auf eine Energie von 1,16 GeV beschleunigt worden waren. Teilchendetektoren zählten die Elektronen, die durch die Kollision mit den Protonen im Tank in bestimmte Richtungen abgelenkt wurden. Bei einem Experiment wurden die Elektronenspins so präpariert, dass sie in Flugrichtung zeigten, beim anderen Experiment zeigten sie in die entgegengesetzte Richtung.
Abb.: Der Versuchsaufbau: Der Elektronenstrahl kommt von rechts und trifft auf das Target. Die gestreuten Elektronen werden von Tscherenkow-Detektoren registriert. (Bild: The Jefferson Lab Qweak Collaboration)
Die schwache Wechselwirkung zwischen den kollidierenden Elektronen und Protonen führte wegen der Paritätsverletzung dazu, dass die Zählraten bei den beiden Experimenten sich geringfügig unterschieden. Traf ein „rechtshändiges“ Elektron auf ein Proton, so wurde es relativ zu einer bestimmten Ebene nach oben abgelenkt. Betrachtet man die an dieser Ebene gespiegelte Kollision, so ist das Elektron jetzt „linkshändig“ und müsste nach unten abgelenkt werden. Für die elektromagnetische Wechselwirkung traf das zu, jedoch für den Beitrag der paritätsverletzenden schwachen Wechselwirkung nicht. Sie lenkte das Elektron weiterhin nach oben ab.
Aus den gemessenen Zählraten ermittelten die Forscher die Streuquerschnitte für die beiden Elektronenpolarisationen. Die Differenz der Streuquerschnitte geteilt durch ihre Summe ergab die Paritätsverletzungsasymmetrie A, die den Einfluss der schwachen Wechselwirkung auf die Elektron-Proton-Streuung quantifizierte. Demnach war A = (-226,5 ± 9,3) 10-9. Dieses Ergebnis ist viel genauer als die Resultate aller früheren Messungen der Paritätsverletzung bei der Streuung von Elektronen an Atomkernen. Aus der Asymmetrie berechneten die Wissenschaftler die schwache Ladung des Protons: Qw = 0,0719 ± 0,0045. Dieses Ergebnis wiederum stimmt hervorragend mit dem Wert überein, den das Standardmodell der Teilchenphysik vorhersagt.
Das Experiment am Jefferson Lab ist ein weiteres Beispiel dafür, wie man mit relativ kleinen Teilchenenergien aber hoher Messgenauigkeit die Grenzen des Standardmodells ausloten und damit die Arbeit des Large Hadron Collider ergänzen kann. So folgern die Forscher aus ihren Ergebnissen, dass bei Hochenergieexperimenten sich erst für Teilchenenergien von mehreren TeV eine mögliche weitere Wechselwirkungsart bemerkbar machen könnte, die zu Abweichungen von den Vorhersagen des Standardmodells führen würde.
Rainer Scharf
Weitere Infos
JOL