24.10.2016

Schwache Messungen liefern komplementäre Größen

Verfahren eröffnet neue Möglichkeiten beim Quanten­computing und in der Metro­logie.

Schwache Messungen, von Yakir Aharonov und seinen Kollegen 1988 ersonnen, sind von einer kontrovers diskutieren Idee zu einem wertvollen Hilfsmittel in der experimentellen Quantenphysik geworden. Dabei ist das in einem Anfangszustand präparierte Messobjekt nur sehr schwach an ein Messgerät gekoppelt, sodass die Messung es auch nur schwach stört. Anschließend misst man die Wahrscheinlichkeit, dass sich das Messobjekt nach der Messung in einem postselektierten Zustand befindet.

Abb.: Das vom ortsauflösenden Photodetektor aufgenommene Lichtstrahlprofil (links Experiment, rechts Theorie) für Photonen, die vor- und nachselektiert sowie einer sequentiellen schwachen Messung unterzogen wurden. (F. Piacentini et al. / APS)

Indem man die Messung an einem Ensemble von identisch präparierten Objekten durchführt, kann man den Messfehler verringern, ohne das jeweilige Messobjekt stärker zu stören. Dadurch konnten an Photonen überraschend genaue Messungen des Spin-Hall-Effekts durchgeführt werden, und auch die Wellenfunktion der Lichtquanten ließ sich mit dieser Methode direkt be­stimmen.

Da schwache Messungen den Zustand des Messobjekts nur geringfügig stören, eröffnen sie die Möglichkeit, Paare von komplementären und somit nicht gleichzeitig messbaren Beobachtungsgrößen unmittelbar nacheinander zu messen und dadurch neue Informationen über die – nahezu – ungestörte Entwicklung des Objekts zu erhalten. Beispiele für solche Paare von Beob­ach­tungs­größen sind Ort und Impuls eines Teilchens oder zwei weder parallel noch senkrecht orientierte Komponenten der Polarisation eines Photons.

Solche sequentiellen schwachen Messungen haben nun Marco Genovese und seine Kollegen am INRIM, dem Istituto Nationale die Ricerca Metrologica in Turin, in Zusammenarbeit mit Forschern der University of Bristol und des Politecnico di Milano erstmals durchgeführt. Dazu haben sie mit einem Laser und einem nichtlinearen Kristall Photonenpaare erzeugt. Während das eine Photon eines Paares sogleich detektiert wurde und dadurch die Ankunft des zweiten Photons ankündigte, durchlief dieses einen Parcours von optischen Elementen, bevor es von einem ortsauflösenden Photodetektor mit 32×32 Pixeln registriert wurde.

Der erste Teil des Parcours ließ von den angekündigten Photonen nur die­jenigen durch, die in eine bestimmte Richtung linear polarisiert waren. Der Lichtstrahl mit den vorselektierten Photonen durchquerte dann nacheinander zwei doppelbrechende Kristalle, die die unterschiedlich polarisierten Kompo­nenten des Strahls quer zur Strahlrichtung geringfügig gegeneinander verschoben. Dadurch wurden die Photonen zwei aufeinanderfolgenden schwachen Messungen unterzogen, zunächst in horizontaler (H) und vertikaler (V) Richtung, und dann in den dazu um einen Winkel θ gedrehten Richtungen. Anschließend wurden die Photonen nachselektiert, sodass nur solche mit bestimmter Polarisation den Photodetektor erreichten, der die Intensität und Form des Lichtstrahls photonenweise aufzeichnete.

Abb.: Ergebnisse von verschiedenen einfachen und sequentiellen schwachen Polarisationsmessungen, wobei (a) und (b) sich durch die vor- und nachselektierten Zustände unterscheiden. Der Winkel θ wurde durch eine zusätzlich Drehung der Polarisationsrichtung der Photonen verändert, die einer Drehung des zweiten doppelbrechenden Kristalls entsprach. (F. Piacentini et al. / APS)

Aus der gemessenen Strahlintensität ermittelten die Forscher den schwachen Messwert einer Polarisationsobservablen A: < A > w = <ψf|A|ψi>/<ψfi>, wobei ψi der vorselektierte Anfangszustand und ψf der nachselektierte Endzustand ist. Der schwache Messwert gibt also an, wie sehr die kurzzeitig wirkende Observable A die Übergangsamplitude vom Anfangs- in den Endzustand verändert hat. Dabei sind auch paradoxe Resultate möglich. So kann der schwache Messwert etwa für einen Elektronenspin größer als 1/2 sein.

Indem die Forscher die Photonen nur den ersten oder nur den zweiten oder aber beide doppelbrechende Kristalle durchqueren ließen, konnten sie drei verschiedene schwache Messungen durchführen: entweder an der um θ gedrehten Richtung (A=Πψ), oder an der vertikalen Polarisationsrichtung (A= ΠV), oder aber sequentiell an beiden Polarisationsrichtungen (A= ΠψΠV). Die Ergebnisse stimmten mit den theoretischen Vorhersagen perfekt überein und zeigten dabei einige Besonderheiten. Während für bestimmte Anfangs- und Endzustände <ΠV>w=0 ist, kann <ΠψΠV>w dennoch von Null verschieden sein. Außerdem sind die schwachen Messwerte nicht durch die Eigenwerte der Polarisation beschränkt, da sie größer als 1 oder negativ sein können.

Dabei erfüllen die schwachen Messwerte jedoch bestimmte Konsis­tenz­be­din­gungen. So gilt <Πψ>w+<Πψ>w = 1, d. h. wie bei einer normalen Pola­­ri­sa­tions­messung muss auch bei einer schwachen Messung die Summe der in zwei zueinander senkrechten Richtungen gemessenen linearen Pola­ri­sa­tionen 1 ergeben. Entsprechend gilt: <ΠψΠV>w+<ΠψΠV>w = 1. Die ge­mes­se­nen Resultate erfüllen diese Konsistenzbedingungen.

Mit den jetzt experimentell realisierten sequentiellen schwachen Messungen haben die Forscher ein neues und mächtiges Werkzeug geschaffen. Es könnte bei der direkten Messung von Dichtematrizen, beim Quantencomputing und in der Metrologie zum Einsatz kommen und neue Möglichkeiten eröffnen.

Rainer Scharf

RK

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