Schwarzer Stickstoff
Neues Hochdruck-Material löst Rätsel des Periodensystems.
Im Periodensystem gilt für Kohlenstoff, Sauerstoff und andere leichte Elemente eine goldene Regel: Unter hohen Drücken besitzen sie ähnliche Strukturen wie schwerere Elemente in der gleichen Elementgruppe. Nur Stickstoff schien bisher aus der Reihe zu tanzen. Jetzt aber haben Forscher der Uni Bayreuth diesen Sonderstatus widerlegt. Sie haben aus Stickstoff eine Kristallstruktur erzeugt, die unter Normalbedingungen bei schwarzem Phosphor und Arsen vorkommt. Die Struktur enthält zweidimensionale atomare Schichten, die hinsichtlich ihrer elektronischen Eigenschaften Graphen ähneln, das ein starkes Potenzial für Hightech-Anwendungen hat. Daher wird zurzeit untersucht, ob schwarzer Phosphor künftig als Material für hocheffiziente Transistoren, Halbleiter und andere elektronische Bauteile infrage kommt.
Einige technologisch attraktive Eigenschaften, insbesondere deren Richtungsabhängigkeit, sind beim schwarzen Stickstoff noch stärker ausgeprägt als beim schwarzen Phosphor. Allerdings kann schwarzer Stickstoff nur dank der außergewöhnlichen Druck- und Temperaturverhältnisse existieren, unter denen er im Labor entsteht. Unter Normalbedingungen löst er sich sofort auf. „Wegen dieser Instabilität sind industrielle Anwendungen derzeit ausgeschlossen“, erläutert Dominique Laniel von der Uni Bayreuth. „Dennoch bleibt Stickstoff ein für die Materialforschung hochinteressantes Element. Unsere Studie zeigt beispielhaft: Hohe Drücke und Temperaturen können Materialstrukturen und -eigenschaften hervorbringen, von denen die Forschung zuvor nicht wusste, ob es sie überhaupt geben kann.“
Es bedurfte extremer Bedingungen, um schwarzen Stickstoff zu erzeugen: Der Kompressionsdruck war 1,4 Millionen Mal höher als der Druck der Erdatmosphäre, die Temperatur überstieg 4000 Grad Celsius. Um herauszufinden, wie sich die Atome unter diesen Verhältnissen anordnen, haben die Wissenschaftler mit dem Deutschen Elektronen-Synchrotron in Hamburg und der Advanced Photon Source am Argonne National Laboratory in den USA kooperiert. Hier trafen durch Teilchenbeschleunigung erzeugte Röntgenstrahlen auf die Materialproben.
„Wir waren überrascht und fasziniert, als die Messdaten uns plötzlich die für schwarzen Phosphor charakteristische Struktur lieferten. Weitere Experimente und Berechnungen haben diesen Befund mittlerweile bestätigt. Damit steht zweifelsfrei fest: Stickstoff ist kein Ausnahme-Element, sondern folgt ebenso wie Kohlenstoff und Sauerstoff der gleichen goldenen Regel des Periodensystems”, sagt Laniel.
U. Bayreuth / RK
Weitere Infos
- Originalveröffentlichung
D. Laniel et al.: High-pressure polymeric nitrogen allotrope with the black phosphorus structure. Phys. Rev. Lett. 124, 216001 (2020), DOI: 10.1103/PhysRevLett.124.216001 - Labor für Kristallographie, Physikalisches Institut, Universität Bayreuth