03.06.2010

Schwere Fermionen enthüllen ihre verborgene Ordnung

Ein mysteriöser elektronischer Tieftemperaturzustand einer Uranverbindung ist jetzt mit Rastertunnelspektroskopie sichtbar gemacht worden.

Ein mysteriöser elektronischer Tieftemperaturzustand einer Uranverbindung ist jetzt mit Rastertunnelspektroskopie sichtbar gemacht worden.

Die Uranverbindung URu2Si2 gibt den Festkörperphysikern seit 25 Jahren Rätsel auf. Sie gehört zu den Schwere-Fermionen-Verbindungen, deren Leitungselektronen sich verhalten, als hätten sie eine Masse von bis zu 1000 Elektronenmassen. Dies kommt dadurch zustande, dass die Leitungselektronen mit anderen Elektronen magnetisch wechselwirken, die an den Atomrümpfen – z. B. der Uranatome – lokalisiert sind. Die Leitungselektronen sind Quasiteilchen, die etwas von der Unbeweglichkeit der lokalisierten Elektronen erben und dadurch träge und schwer werden. Beim URu2Si2 tritt dieser Effekt für Temperaturen unterhalb von 55 K auf. Doch bei 17,5 K findet ein Phasenübergang statt, an dem die Uranverbindung in einen neuen, rätselhaften Ordnungszustand übergeht. Ein internationales Forscherteam hat jetzt Licht in diesen Zustand gebracht und ihn sichtbar gemacht.

Abb.: An den Uranatomen (X) traten Fano-Resonanzen (rote Flecken) auf. Sie kamen dadurch zustande, dass die Leitungselektronen beim Tunneln in die Spitze des Rastertunnelmikroskops von den lokalisierten Elektronen der Uranatome behindert wurden. (Bild: A. R. Schmidt et al., Nature)

Die Forscher um Séamus Davis von der Cornell University haben die elektronische Struktur des URu2Si2 mit Hilfe eines Rastertunnelmikroskops mit atomarer Auflösung untersucht. Sie wollten herausfinden, wie sich die elektronische Struktur ändert, wenn eine Probe der Uranverbindung auf eine Temperatur unterhalb von 17,5 K abgekühlt wird und dabei in den rätselhaften Ordnungszustand übergeht. Zwar wird URu2Si2 bei 17,5 K antiferromagnetisch, doch die dabei auftretende Ordnung der Elektronenspins reicht nicht aus, um die an Materialproben beobachtete starke Abnahme der Entropie zu erklären. Es musste sich noch etwas anderes ordnen und diese Ordnung musste mit den schweren Fermionen zu tun haben.

Es kamen vor allem zwei Erklärungen für die verborgene Ordnung in Frage. Entweder änderten die schweren Fermionen bei 17,5 K ihr kollektives Verhalten und gingen in einen neuen, geordneten Zustand über. Oder die Wechselwirkung zwischen den Leitungselektronen und den lokalisierten Elektronen änderte sich, und mit ihr die Eigenschaften der schweren Fermionen, die daraufhin einen veränderten kollektiven Zustand bildeten. Die von Séamus Davis und seinen Kollegen beobachteten Eigenschaften der schweren Fermionen oberhalb und unterhalb von 17,5 K lassen die zweite Erklärung als zutreffend erscheinen: Die Wechselwirkung der einzelnen Leitungselektronen mit lokalisierten Elektronen an den Uranatomen änderte sich bei 17,5 K grundlegend.

Bei ihren Experimenten führten die Forscher die Spitze eines Rastertunnelmikroskops über die Oberfläche einer 0,5 mm3 großen kristallinen Probe der Uranverbindung, die auf Temperaturen zwischen 1,7 K und 19 K abgekühlt worden war. Wurde eine elektrische Spannung zwischen der Spitze und der Probenoberfläche angelegt, so floss ein Tunnelstrom: „schwere“ Leitungselektronen tunnelten aus der Probe in die Spitze. Wurde die Änderung der Stromstärke in Abhängigkeit von der angelegten Spannung gemessen, so erhielt man die Leitfähigkeit, aus der sich die Zustandsdichte der Elektronen in der Probenoberfläche ermitteln ließ. Dabei konnten die Forscher über jedem Uranatom eine sogenannte Fano-Resonanz beobachten, die der Leitfähigkeit ein charakteristisches Spannungsprofil gab. Die Uranatome bildeten ein „Fano-Gitter“.

Die Resonanz kam zustande, weil die Leitungselektronen für kurze Zeit an den Uranatomen hängenblieben, bevor sie in die Spitze tunneln konnten. Dies war ein direkter Hinweis darauf, dass die Leitungselektronen mit den lokalisierten Elektronen an den Uranatomen wechselwirkten und dadurch zu schweren Fermionen wurden. Auf diese Weise konnten die Forscher die Eigenschaften der schweren Fermionen untersuchen. Oberhalb des Phasenübergangs bei 17,5 K waren die Energiezustände der schwereren Fermionen in einem Energieband angeordnet. Bei 17,5 K spaltete sich dieses Band jedoch in zwei Bänder auf, von denen eines die Fermi-Energie schnitt und damit für die elektrische Leitfähigkeit der Probe verantwortlich war. Die Eigenschaften der einzelnen schweren Fermionen hatten sich am Phasenübergang bei 17,5 K sprunghaft geändert. So nahm z. B. ihre Masse deutlich zu.

Die Forscher konnten die schweren Fermionen auch direkt sichtbar machen, indem sie 1 % der Uranatome durch Thoriumatome ersetzten. Das führte zu beobachtbaren Interferenzen zwischen den wellenförmigen Zuständen der schweren Fermionen, ohne dass die Dotierung der Probe mit Thorium die Zustände wesentlich verändert hätte. Dabei zeigte es sich, dass die schweren Fermionen unterhalb von 17,5 K keinen besonderen räumlichen Ordnungszustand annahmen. Die verborgene Ordnung war demnach nur darauf zurückzuführen, dass die einzelnen schweren Fermionen ihren Charakter geändert hatten.

Es bleiben aber noch viele Fragen offen. So haben Neutronenstreuexperimente unterhalb von 17,5 K doch Hinweise auf eine räumliche Modulation der schweren Fermionen ergeben, die auf einen neuen räumlichen Ordnungszustand hindeuten. Zudem wird URu2Si2 unterhalb von 1,5 K supraleitend. Wie dies mit der verborgenen Ordnung zusammengeht, muss noch geklärt werden.

RAINER SCHARF

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