31.07.2017

Schwerefeld im Kristall

Quantenanomalie erstmals experimentell im Kristall nachgewiesen.

In der Physik spielen Messgrößen wie Energie, Impuls oder elek­trische Ladung, welche ihre Erscheinungs­form zwar ändern können, aber niemals verloren gehen oder niemals aus dem Nichts entstehen, eine zentrale Rolle. Diese Mess­größen bestimmen, welche physi­kalischen Prozesse in unserem Uni­versum möglich sind. In bestimmten Situa­tionen jedoch, nämlich genau dann, wenn man von der klas­sischen Physik zu einer nicht-klas­sischen Betrachtung übergeht, sind diese Größen nicht mehr zwangsläufig erhalten. Man spricht dann von Quanten­anomalien. Eine dieser Quanten­anomalien, die etwa zur Beschrei­bung von Neutronen­sternen von theo­retischen Physikern angedacht wurde, aber noch nie experi­mentell nachgewiesen werden konnte, ist die Schwerkraft-Quanten­anomalie.

Abb.: Forschern ist es gelungen, ein ausreichend starkes Schwerefeld, welches eigentlich nur weit draußen im Universum existiert, in einem Kristall nachzuempfinden. (Bildmontage: R. Strasser, K. Scherer, M Büker)

Forschern am IFW Dresden und weiterer Institute ist es nun erstmals gelungen, diese Quanten­anomalie experi­mentell in Kristallen nachzu­weisen. Dabei konnten sie eine große experi­mentelle Schwierig­keit umgehen: Ausreichend starke Schwere­felder zur Beobachtung der Schwerkraft-Quanten­anomalie, und die damit einher­gehende, von Einstein voraus­gesagte Krümmung der Raumzeit, liegen zwar bei Neutronen­sternen oder in der Nähe Schwarzer Löchern vor, können aber nicht im Labor auf der Erde realisiert werden. Somit war die Messung der theo­retisch voraus­gesagten Schwerkraft-Quanten­anomalie bisher unmöglich.

Die Forscher haben einen uner­warteten Ausweg aus diesem experi­mentellen Dilemma gefunden: In ihrem Experiment nutzten sie die Erkenntnis, dass sich unter bestimmten Umständen in Kristallen ein Schwere­feld durch einen Temperatur­unterschied nachahmen lässt. So können Messungen in Gravitations­feldern nachge­stellt werden, ohne dass dafür eine Krümmung der Raumzeit im Labor erzeugen werden müsste. Neuartige Materia­lien, Weyl-Halb­metalle, stellen für die Forscher eine ideale Mess­plattform dar. In diesen Materialien gibt es bestimmte Elektronen (Weyl-Fermionen), die aufgrund ihrer speziellen Eigen­schaften für das Forscher­team beim Nachweis der Schwerkraft-Quanten­anomalie von beson­derem Interesse waren.

Diese Elektronen haben zwei verschiedene Chira­litäten. Eine Beson­derheit dieser Materia­lien besteht darin, dass die Energie und der Impuls der Elektronen eines Drehsinns jeweils eine stets erhaltene Mess­größe darstellt. So kann weder im links­drehenden noch im rechts­drehenden Elektronen­reservoir Energie oder Impuls verloren oder hinzu­gewonnen werden – es sei denn es liegt eine Quanten­anomalie vor. Ein solches, neu­artiges Material setzten die Forscher im Experiment einem Temperatur­unterschied aus, der in gewöhnlichen elek­trischen Leitern einen Strom­fluss verursacht.

In dem unter­suchten speziellen Halbmetall-Material darf nun aller­dings gerade kein Stromfluss zustande kommen, da dies Ausdruck der stets erhaltenen Energie und des stets erhaltenen Impulses der beiden Elektronen­reservoirs ist. Als die Forscher zusätz­lich noch einen Temperatur­unterschied über den Kristall erzeugten und in gleicher Richtung ein Magnet­feld anlegten, beobachten sie jedoch einen Strom­fluss, der mit anstei­gendem Magnet­feld weiter zunahm. Dieser resul­tierte daraus, dass die eigentlich stets bewahrte Energie und der stets bewahrte Impuls der Elektronen eines Drehsinn nun nicht mehr erhalten war und links­drehende Elektronen beispiels­weise mehr Energie und einen größeren Impuls hatten als rechts­drehende Elektronen. Dieses werten die Forscher als ersten experi­mentellen Nachweis der Schwerkraft-Quanten­anomalie.

Den Forschern ist es somit erstmals im Experiment gelungen, eine Quanten­anomalie unter Beteiligung eines simu­lierten Schwere­feldes zu beobachten. „Extrem spannend ist, dass wir mit Hilfe dieses Experi­ments aus dem Bereich der Festkörper­physik eine physika­lische Frage­stellung beantworten konnten, die auch in vielen anderen Bereichen der Physik außerhalb der Material­forschung eine wichtige Rolle spielt“, sagt Anna Niemann, Doktorandin am IFW Dresden. So seien die Ergeb­nisse dieser Studie relevant für Astro­physiker um Prozesse im frühen Universum aufzu­klären bis hin zu Teilchen­physiker um mögliche Teilchen­zerfälle zu veri­fizieren.

IFW Dresden / JOL

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