30.11.2017

Schwerefeld offenbart Bebenstärke blitzschnell

Elastogravitative Signale breiten sich mit Lichtgeschwindigkeit nach einem Starkbeben aus.

Am 11. März 2011 erschütterte das schwere Tohoku-Beben die Westküste Japans. Gefolgt von einem Tsunami und der Nuklear­katastrophe von Fukushima forderte es knapp 11.000 Menschenleben. Mit der herkömmlichen Analyse der seismischen P- und S-Wellen unterschätzten Erdbeben­forscher seine Stärke erst mit einer Magnitude von 7,9, Stunden später mit 8,8. Tatsächlich lag die Magnitude bei 9,1. Auf das Beben folgende Störungen des Schwere­felds hätten viel früher – schon binnen weniger Minuten – die wahre Wucht des Stark­bebens offenbaren können. Zu diesem Ergebnis kommen französische Geo­wissenschaftler, die die Messungen von Breitband-Seismo­metern in China, Südkorea und der Mongolei nun genauer auf Signale für Schwankungen des Schwere­felds untersucht haben.

Abb.: Nach dem starken Tohoku-Beben vor Japans Küste im März 2011 breiteten sich nachweisbare Schwankungen im Schwerefeld der Erde mit Lichtgeschwindigkeit aus. Messungen dieser elastogravitativen Signale hätten binnen drei Minuten nach dem Beben verlässliche Werte zu seiner Stärke liefern können. (Bild: IPGP)

Mit jedem Erdbeben werden große Massen in kurzen Zeiträumen versetzt. Das führt wegen der neuen Masse­verteilung direkt zu Veränderungen des Gravitationsfelds in der unmittelbar betroffenen Region. Zusätzlich treten Störungen des Schwerefelds auch großräumig auf und breiten sich mit Licht­geschwindigkeit durch den Erdkörper aus. Seismische Wellen erreichen dagegen nur maximal Geschwindigkeiten von bis zu zehn Kilometern pro Sekunde. Daher bieten die Störungen des Gravitation in Form von elasto­gravitativen Signalen prinzipiell die Möglichkeit, die Stärke eines Bebens in weit entfernte Bebenwarten schneller und genauer zu bestimmen als über die Auswertung der seismischen P- und S-Wellen. Martin Vallée und seine Kollegen vom Institut de Physique du Globe an der Université Paris Diderot konnten diese Annahme nun am Beispiel des Tohoku-Bebens belegen.

Die Geoforscher simulierten zuerst am Computer, wie sich die plötzlichen Verschiebungen großer Erdmassen nach einem Beben auf das Gravitationsfeld der Erde auswirken können. Es ergaben sich geringe Schwankungen im Schwerefeld, die sich mit Licht­geschwindigkeit durch den Erdkörper ausbreiteten und sich besonders in größerer Entfernung von mehr als 800 Kilometern nachweisen lassen könnten. Diese Simulationen verglichen sie mit den Daten der bis zu 2000 Kilometer vom Epizentrum entfernten Mess­stationen.

Die Seismogramme zeigten tatsächlich deutliche Ausschläge im Zeitfenster vor dem Eintreffen der seismischen Wellen. Eine Messwarte im Osten Chinas zeigte verblüffend hohe Beschleunigungs­werte von 1,5 nm/s2 schon gut drei Minuten, bevor die erste seismische P-Welle registriert werden konnte. Als Ursache für diesen Messwert sahen die Forscher die vom Beben verursachte Schwankung des Schwerefelds. Aus dem Wert für die Beschleunigung konnten sie direkt die Stärke des Bebens mit einer Magnitude von über 9,0 schnell und erstaunlich genau bestimmen.

Anwendbar ist diese Methode zur Bestimmung der Magnitude binnen weniger Minuten nach einem Erdbeben bisher nur für besonders starke Erschütterungen. Je größer die versetzten Massen sind und je schneller das Beben abläuft, desto eher lassen sich die elasto­gravitativen Signale mit empfindlichen Seismometern aufzeichnen. Signale schwächerer Beben würden derzeit noch im Messrauschen der Detektoren untergehen. Doch mit anderen Messsystemen wie supra­leitenden Gravimetern, Atom­interferometern oder gar Gravitations­wellen-Detektoren halten Vallée und Kollegen genauere Messungen der Schwerefeld­schwankungen für möglich.

Die Störungen des Schwerefelds legen nicht nur die Grundlage, um die Stärke von Stark­beben schneller bestimmen zu können. Die Arbeitsgruppe um Vallée konnte bereits in einer früheren Studie zeigen, dass sich mit diesen Messungen auch die Vorwarnzeiten um einige Sekunden verkürzen ließen. Messdaten eines kleinen Gravimeters westlich von Tokio, 500 Kilometer vom Epizentrum des Bebens entfernt, hätten immerhin fast zehn Sekunden früher eine Warnung möglich gemacht. Ein Zeitvorteil von einigen Sekunden mag zwar vernachlässigbar klingen. Doch können diese Sekunden für das Schließen von Gas­pipelines, das Runterfahren von Kraftwerken oder auch die automatische Sperrung von Brücken ausreichen. So haben schnellere und exaktere Warnungen das Potenzial, viele Menschenleben zu retten.

Jan Oliver Löfken

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