Schwergewichte unter sich
Kopplung des Higgs-Bosons an Top-Quarks gemessen.
Vor ziemlich genau sechs Jahren wurde am CERN das Higgs-Boson entdeckt, das für die Masse anderer Elementarteilchen zuständig ist. Seither steht das Higgs-Teilchen im Fokus umfangreicher Untersuchungen. Jetzt haben Wissenschaftler vom ATLAS-Experiment am Large Hadron Collider, unter Beteiligung des Max-Planck-Instituts für Physik, erstmals die seltene Produktion eines Higgs-Bosons zusammen mit einem Top-Quark-Paar (ttH-Produktion) beobachtet. Dies öffnet ein weiteres Tor für die Suche nach neuen Physikphänomenen jenseits des Standardmodells der Teilchenphysik.
Abb.: Die ATLAS-Aufnahme zeigt einen Kandidaten für die Produktion des Higgs-Bosons zusammen mit zwei Top-Quarks. (Bild: CERN)
Als schwerstes Elementarteilchen im Standardmodell koppelt das Top-Quark auch am stärksten von allen Teilchen an das Higgs-Boson. „Direkt nachweisbar ist diese Kopplung aber nur durch den ttH-Produktionsprozess, der äußerst selten vorkommt: Nur ein Prozent der Higgs-Bosonen entstehen zusammen mit Top-Quarks“, erklärt Sandra Kortner vom Max-Planck-Institut für Physik. Der ttH-Prozess hinterlässt eine ausgesprochen komplexe Signatur im Detektor. Für die Beobachtung mussten daher möglichst viele Higgs-Boson-Zerfälle – in Photonen, W- und Z-Bosonen, Tau-Leptonen und Beauty-Quarks – berücksichtigt und kombiniert werden.
Den ersten Hinweis auf die ttH-Produktion haben Wissenschaftler letzten Dezember mit dem ATLAS-Experiment gefunden. Seitdem wurden weitere Daten analysiert. In die neuesten Messungen gingen die gesamten Proton-Proton-Kollisionsdaten ein, die seit dem Beginn der Datennahme im Jahr 2011 bis Ende 2017 aufgenommen wurden. Mit einer statistischen Signifikanz von 6,2 Standardabweichungen konnte man nun experimentell nachweisen, dass der Higgs-Mechanismus für die große Masse des Top-Quarks verantwortlich ist.
Dies steht im Einklang mit der jüngsten Beobachtung des CMS-Experiments mit einer Signifikanz von 5,2 Standardabweichungen, die auf einem kleineren Datensatz basiert. Somit könnte das Ergebnis dazu beitragen, eine wichtige offene Frage im Standardmodell zu beantworten, nämlich warum Fermionen, zu denen Quarks und Leptonen und damit die Bausteine der Materie zählen, so unterschiedliche Massen haben.
Die gemessene Stärke der Higgs-Boson-Kopplung an Top-Quarks stimmt mit den Vorhersagen des Standardmodells überein. „Die Abweichungen von diesen Vorhersagen, die beispielsweise durch die Existenz neuer, unbekannter Teilchen auftreten würden, könnten allerdings erst nach präziseren Messungen mit zusätzlichen Daten aufgedeckt werden“, so Kortner weiter. Die Beobachtung der ttH-Produktion ebnet somit einen wichtigen neuen Weg zu potenziellen Entdeckungen.
Die aktuellen Messergebnisse für die bereits beobachteten Higgs-Boson-Kopplungen an andere Teilchen – Tau-Leptonen und W- und Z-Bosonen – liegen ebenfalls vor. Auch diese Messungen befinden sich im Einklang mit dem Standardmodell. Die Gruppe am Max-Planck-Institut für Physik hat insbesondere zur Messung des Higgs-Boson-Zerfalls in Z-Bosonen maßgeblich beigetragen.
Die neuen Ergebnisse zur Higgs-Boson-Physik werden bei der diesjährigen LHCP-Konferenz in Bologna vorgestellt. Eine deutliche Steigerung der Messgenauigkeit für die Eigenschaften des Higgs-Bosons erwarten Wissenschaftler nach Analyse aller Daten, die bis Ende dieses Jahres aufgenommen werden.
MPP / DE