Schwergewichtiger Quantenbit-Kandidat
Uranditellurid-Einkristalle zeigen ungewöhnliche supraleitende Phase mit möglichen Majorana-Anregungen.
Topologische Supraleiter gehören zu den interessantesten Materialien für die Entwicklung möglichst robuster Quantenbits. Das liegt daran, dass die Quantenzustände in ihnen topologisch geschützt sind und sich deshalb durch eine außerordentlich gute Kohärenz auszeichnen, die gegen äußere Störungen unempfindlich ist. Ein Forscherteam um Nick Butch, der am NIST Center for Neutron Research (NCNR) arbeitet, hat nun herausgefunden, dass Uranditellurid-Einkristalle nicht nur eine, sondern vermutlich gleich mehrere supraleitende Phasen besitzen, die sich zur Herstellung von Qubits eignen könnten. Zum Team gehörten auch Wissenschaftler der University of Maryland und des Ames Laboratory.
Das Besondere an diesem Material ist seine Spin-Struktur. Bei den meisten Supraleitern bilden die Spins der gepaarten Elektronen einen Singulettzustand, bei dem der eine Spin nach oben und der andere nach unten weist. Einige Supraleiter haben aber auch Triplettzustände, bei denen die Spins der Cooper-Paare parallel sind und einen von drei verschiedenen Spinzuständen einnehmen können. Nach theoretischen Vorhersagen sind die meisten dieser Spin-Triplett-Supraleiter auch „topologische“ Supraleiter. Bei dieser Materialklasse tritt die Supraleitfähigkeit an der Oberfläche auf und bleibt auch bei äußeren Störeinflüssen außerordentlich robust.
Hinzu kommt, dass topologische Supraleiter auch eine spezielle Bandlücke aufweisen sollen, bei der Nullpunkt-Anregungen auftreten können, die zugleich ihre eigenen Antiteilchen entsprechen. Diese Quasiteilchen-Zustände sind auch als Majorana-Moden oder gebundene Majorana-Zustände bekannt. Zu den ungewöhnlichen Eigenschaften dieser Zustände gehört, dass sich bei einer Vertauschung zweier Zustände der Zustand des Gesamtsystems so ändert, dass er nur von der Reihenfolge der Vertauschungen abhängt – eine typisch topologische Eigenschaft, die für besonders hohe Quantenkohärenz sorgt. An einem eisenbasierten Supraleiter konnten etwa schon letztes Jahr Majorana-Zustände nachgewiesen werden.
Bereits die Erzeugung von Uranditellurid-Einkristallen war nicht trivial: Nicht alle gewonnen Kristalle zeigten Supraleitfähigkeit. Das Material untersuchten die Forscher dann mit Hilfe von Kernspinresonanz und Neutronenstreuung, wobei die Kombination von sehr tiefen Temperaturen und sehr hohen Magnetfeldern gewisse Ansprüche an die Technik stellte. Das Material besaß eine Sprungtemperatur von 1,6 Kelvin. Das Besondere war aber seine überraschend starke Magnetfeldhärte: Die kritische Feldstärke sollte nach den bisherigen Messungen bei über vierzig Tesla liegen. Dieser außergewöhnlich hohe Wert und seine supraleitenden Eigenschaften lassen Uranditellurid (UTe2) in eine Reihe einordnen, zu der auch Verbindungen wie UGe2, UrhGe und UcoGe gehören. Nun gehören diese Substanzen zur seltenen Klasse ferromagnetischer Supraleiter, während Uranditellurid selbst keine magnetische Ordnung aufweist. Von seinen magnetischen Eigenschaften her liegt es also am paramagnetischen Ende dieser Reihe ferromagnetischer Supraleiter. „Das allein macht Uranditellurid einzigartig und aus fundamentaler Hinsicht sehr ungewöhnlich“, sagt Butch.
So aufschlussreich die bisherigen Messungen auch sind: Noch ist es nicht endgültig erwiesen, ob Uranditellurid wirklich ein topologischer Supraleiter mit Majorana-Moden ist. Die Forscher planen deshalb als nächstes, die Anregungsstruktur der Spinzustände daraufhin unter die Lupe zu nehmen, ob sich hier die gesuchten Majorana-Eigenschaften zeigen. Dies sollte sich mit Hilfe von Photoelektronen-Emissionsspektroskopie und Rastertunnelaufnahmen sichtbar machen lassen. Bislang konnten die Wissenschaftler zwar nachweisen, dass es sich bei den Spins von Uranditellurid um Triplett-Zustände handelt, aber noch nicht, um welchen mit welchen genauen Eigenschaften. „Die Messungen deuten sogar darauf hin, dass es sich um mehr als nur eine supraleitende Phase handeln könnte“, erklärt Butch. Das würde zusätzliche interessante Perspektiven für dieses Material eröffnen.
Dabei galt Uranditellurid lange Zeit als uninteressant: Seit den 1970er Jahren ist es bekannt und schien keine besonderen Eigenschaften aufzuweisen. Die Forscher erzeugten nun ein wenig Uranditellurid nebenbei, als sie auch verwandte Stoffe produzierten, und untersuchten seine Eigenschaften. Bei sehr tiefen Temperaturen zeigte es nun seine ungewöhnlichen Qualitäten, die bis hin zu Qubit-tauglichen Majorana-Moden reichen könnten.
Wann solche Majorana-Qubits in einem Quantencomputer zum Einsatz kommen könnten, hängt aber von einigen offenen Forschungs- und Entwicklungsfragen ab. Falls sich die Vermutungen bestätigen, wäre Uranditellurid ein sehr interessanter Baustein für topologische und fehlertolerante Quantenhardware. Bis zu den ersten Prototypen dürften aber noch ein paar Jahre verstreichen.
Dirk Eidemüller
Weitere Infos
- Originalveröffentlichung
S. Ran et al.: Nearly ferromagnetic spin-triplet superconductivity, Science 365, 684 (2019); DOI: 10.1126/science.aav8645 - Neutron-Condensed Matter Science Group, National Institute of Standards and Technology NIST, Boulder
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