16.08.2019

Schwimmen gegen den Strom

Physikalische Grundlagen für die Fortbewegung von Bakterien geklärt.

Bakterien können gegen den Strom schwimmen – und das ist oft ein ernstes Problem, etwa wenn sie sich in Wasser­rohren oder in medi­zinischen Kathetern ausbreiten. Wie ihnen das gelingt, war bisher nicht klar. Ein inter­nationales Forschungs­team mit Beteiligung von Physiker Andreas Zöttl von der TU Wien, konnte diese Frage nun beantworten: Mit Hilfe von Experimenten und mathe­matischen Berechnungen konnte eine Formel gefunden werden, die alle wesentlichen Aspekte dieser erstaunlichen Bakterien-Bewegung beschreibt. Damit könnte es möglich werden, durch passendes Design von Röhren­oberflächen die Ausbreitung von Bakterien zu verhindern oder zumindest zu verlangsamen.

Abb.: Physika­lische Effekte bestimmen die Fort­bewegung von Bakterien mit...
Abb.: Physika­lische Effekte bestimmen die Fort­bewegung von Bakterien mit Flagellen wie beispiels­weise Escherichia coli. (Bild: CDC / PHIL)

Viele Bakterien­arten, etwa die E. coli Bakterien, die im Wasser oft zur Gesundheits­gefahr werden können, bewegen sich mit Hilfe kleiner Geißel­schwänzchen fort – den Flagellen. „Man kann sich das allerdings nicht so vorstellen wie die Fortbewegung eines Fisches“, sagt Andreas Zöttl vom Institut für Theo­retische Physik. „Fische spüren die Richtung der Strömung und können sich gezielt dafür entscheiden, in eine bestimmte Richtung zu schwimmen. Bakterien sind viel einfacher gebaut. Ihr Verhalten lässt sich durch ganz grund­legende physikalische Gesetz­mäßigkeiten erklären.“

Oft lagern sich Bakterien an Oberflächen an, die von Flüssigkeiten überströmt werden – das kann die schlecht geputzte Duschkabine sein, ein Abwasser­rohr oder auch ein Katheterschlauch. „An solchen Oberflächen ist das Verhalten der Bakterien besonders interessant“, sagt Zöttl. „Es zeigt sich nämlich, dass die Bakterien genau dort, direkt an den Oberflächen, oft gegen den Strom wandern.“ Sie werden also nicht mit dem Abwasser fortgespült, sondern schwimmen dem Fluss entgegen. Gemeinsam mit Kollegen der Universität Stanford, der Univer­sität Oxford und dem ESPCI in Paris machte sich Andreas Zöttl auf die Suche nach einer physikalischen Erklärung für diesen Effekt. Zöttl arbeitete mit theoretisch-mathe­matischen Methoden: Er berechnete, wie ein Bakterium in einer strömenden Flüssig­keit ausgerichtet und gedreht werden kann, wie die Strömung mit der Bewegung der Flagellen zusammenwirkt und welche Bewegungs­möglichkeiten sich dadurch rein mathematisch ergeben. „Dabei gelangt man zu dem bemerkenswerten Ergebnis, dass es unter­schiedliche, klar voneinander unter­scheidbare Bewegungs­arten gibt, je nach Stärke der Strömung“, erklärt Andreas Zöttl.

In leichten Strömungen drehen sich die Bakterien einfach im Kreis, ab einem bestimmten Punkt beginnen sie, sich gegen die Strömungs­richtung zu bewegen. In noch stärkeren Strömungen oszillieren sie an der Oberfläche hin und her, oder sie trennen sich in zwei unterschiedliche Gruppen, die in unter­schiedliche Richtungen wandern. Mit einer einzigen mathe­matischen Formel kann eine ganze Palette an bakteriellen Bewegungs­mustern erklärt werden. Gleich­zeitig entwickelte man in Paris technische Methoden, um die Bewegungen einzelner Bakterien mit speziell gesteuerten Mikro­­skopen zu messen – und bei diesen Messungen fand man genau dieselben klar unterscheidbaren Bewegungstypen, die auch die theo­retischen Berechnungen ergeben hatten. „Das zeigt uns, dass unsere Theorie richtig ist“, sagt Zöttl. „Besonders schön daran ist, dass die Ergebnisse sehr robust sind: Sie hängen nicht empfindlich von irgendwelchen Details ab, daher lässt sich unsere Formel auf viele unter­schiedliche Arten von Bakterien anwenden.“ Sogar DNA-Stränge, die im Zellplasma herumschwimmen, lassen sich mit der neuen Theorie korrekt beschreiben.

Das Team hofft, mit dem neuge­wonnenen Verständnis der Bewegungs­möglichkeiten von Bakterien nun Methoden finden zu können, die Bakterien an der Fortbewegung zu hindern. „Vielleicht kann man in Zukunft Katheter im Inneren mit einer bestimmten geometrischen Oberflächen­struktur ausstatten, die Bakterien an der Wanderungs­bewegung gegen den Strom hindert“, hofft Zöttl.

TU Wien / JOL

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